Die Anleger beginnen sich zu fragen, ob die Zentralbanken ihre Ziele höher stecken sollten.
Seit Einführung des Inflationsziels in den 1990er-Jahren haben sich die Industrieländer um ein gemeinsames Ziel von 2 % zusammengeschlossen. Seitdem haben die Zentralbanken die Inflation weitgehend auf einem niedrigen und stabilen Niveau gehalten. Aber dies wurde in den letzten Jahren auf den Kopf gestellt, als die Inflation auf den höchsten Stand seit einer Generation kletterte.
Diese Entwicklung hat eine Debatte darüber entfacht, ob die politischen Entscheidungsträger das 2-%-Ziel aufgeben und stattdessen eine höhere Inflation ins Visier nehmen sollten.
Befürworter eines Inflationsziels von 3 % oder sogar 4 % argumentieren, dass dies höhere Nominalzinsen nach sich zöge. Höhere Nominalzinsen würden das Risiko verringern, dass die Zentralbanken durch die effektive Untergrenze (ELB) eingeschränkt werden, da sie mehr Spielraum hätten, die Kreditkosten bei einem wirtschaftlichen Abschwung zu senken. Es ist eine scheinbar einfache Lösung für das Problem, das die politischen Entscheidungsträger in den Jahren nach der globalen Finanzkrise geplagt hat.
Sie bringt jedoch eigene Probleme mit sich. Beispielsweise, ob die Inflation überhaupt in der Lage sein wird, sich dem höheren Ziel anzunähern.
Es ist eine Herausforderung, mit der die Bank of Japan nur allzu vertraut ist. Vor zehn Jahren hob sie ihr Inflationsziel von 1 % auf 2 % an, um die chronische Deflation zu überwinden. Und um der Inflation unter die Arme zu greifen, leitete sie eine kolossale quantitative Lockerung ein, die ihre Bilanz von 30 % auf 130 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anschwellen liess. Funktioniert hat das mitnichten. Abgesehen von einer Steuererhöhung im Jahr 2014 blieb die Inflation hartnäckig niedrig, zumindest bis zu ihrer jüngsten weltweiten Renaissance.
Während Japans Wirtschaft in gewisser Weise einzigartig ist, kämpften auch andere Industrieländer im gleichen Zeitraum mit anhaltenden Unterschreitungen ihres Inflationsziels. Ein Faktor war die Finanzkrise. Sie hinterliess in den G7 eine Produktionslücke von 5,8 % des BIP, deren Verringerung mehrere Jahre dauerte. Ein anderer Faktor war die Globalisierung, insbesondere nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001. Auch technologische Innovation und Disruption, wie Smartphones und Abonnementdienste, spielten eine Rolle.
Es ist zu erwarten, dass sich einige dieser disinflationären Trends umkehren werden. Wir befinden uns möglicherweise in einem Regimewechsel zu einer weniger globalisierten Welt, in der Sicherheit und Nähe Vorrang vor Effizienz- und Kostenerwägungen haben, die das globalisierte Modell erweiterter Lieferketten in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Diese Verschiebung könnte zu einer stärkeren Stagflation führen, die die Inflation in die Höhe treibt und das globale Wachstum verlangsamt.
Ein Aspekt dieser Entwicklung könnte „fiskalischer Aktivismus“ sein, der dazu führen könnte, dass die Zentralbanken ihre Inflationsziele anheben oder ihre Unabhängigkeit verlieren. Die Regierungen scheinen fiskalisch grosszügiger zu werden, nachdem sich die Erwartungen der Wähler aufgrund der Pandemie-Unterstützungsprogramme geändert haben. Fiskalischer Aktivismus könnte kurz- bis mittelfristig eine weitere potenzielle Quelle für Aufwärtsdruck auf die Inflation sein.
Eine Entwicklung hin zu einer aktiveren Fiskalpolitik könnte bedeuten, dass Regierungen das Zentralbanksystem ändern, um die Auswirkungen zusätzlicher Ausgaben zu bewältigen. Ein Szenario, in dem mithilfe von aufsichtsrechtlichen Massnahmen Mittel in den Anleihemarkt geleitet werden, kombiniert mit Änderungen des Mandats der Zentralbanken, um eine höhere Inflation zu tolerieren, ist nicht undenkbar, sollte es beispielsweise infolge von Populismus zu grossen Verschiebungen der politischen Prioritäten kommen.
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich unsere Vorhersagen bewahrheiten. Ganz zu schweigen von der Frage, ob wir die Nettoauswirkungen richtig eingeschätzt haben. Und es ist ungewiss, wie sich andere Faktoren auswirken könnten. So wird beispielsweise darüber debattiert, ob die Bevölkerungsalterung letztendlich inflationär oder deflationär sein wird. Auch technologische Disruptionen könnten der Inflation entgegenwirken, etwa wenn die generative künstliche Intelligenz (KI) zu einer weitverbreiteten Verdrängung von Arbeitnehmern führt.
Es ist auch fraglich, ob eine höhere Inflation toleriert werden sollte, wenn das schwache Produktivitätswachstum nicht verbessert werden kann. Die meisten empirischen Studien stellen eine negative Korrelation zwischen beiden Faktoren fest, aber die Umstellung auf ein höheres Inflationsregime könnte dazu beitragen, die Unternehmensinvestitionen anzukurbeln. Aber wenn die Produktivität niedrig bleibt und andere Länder ihre Inflationsziele nicht ebenfalls anheben, wird es zu einer allmählichen Erosion der Wettbewerbsfähigkeit und einer Verschlechterung des Lebensstandards kommen.
Eine Anhebung des Inflationsziels birgt auch die Gefahr, die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken zu untergraben. Das gilt insbesondere für die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank, deren jüngste Überprüfungen der Geldpolitik gezeigt haben, dass sie bereit sind, ein Überschiessen der Inflation zu tolerieren, nachdem diese jahrelang unter 2 % gelegen ist. Wenn die Zentralbanken dann inmitten einer hohen Inflation eine Kehrtwende vollziehen und ihre Ziele anheben, könnte der Eindruck erweckt werden, dass sie keine Kontrolle haben, und es könnte sein, dass die Inflationserwartungen oberhalb des neuen höheren Ziels verankert werden.
Das ist ein sehr gefährlicher Weg, zumal die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer hoch ist und dies angesichts der alternden Bevölkerung, der Anti-Einwanderungsstimmung und der Produktionsrückverlagerung aus dem Ausland auch bleiben sollte. Die Unternehmen haben daher möglicherweise keine andere Wahl, als den Forderungen der Arbeitnehmer nach einer Entschädigung für die höhere Inflation nachzukommen. Wenn das Produktivitätswachstum nicht Schritt halten kann, müsste diese Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale durch eine aggressive geldpolitische Straffung im Volcker-Stil durch die Zentralbanken gebannt werden.
Auch wenn die Inflation in diesem Jahrzehnt voraussichtlich strukturell höher sein wird als im letzten, ist dies keineswegs garantiert. Und wenn sie tatsächlich höher liegt, sind wahrscheinlich angebotsseitige Reformen erforderlich, um dem Rechnung zu tragen, sonst könnten Wettbewerbsfähigkeit und Lebensstandard darunter leiden. Ausserdem müssen die Zentralbanken zunächst ihre bestehenden Ziele nachhaltig erreichen, um ihre Glaubwürdigkeit zu gewährleisten. Solange diese Kriterien nicht erfüllt sind, ist es zu früh, um über eine Abschaffung des Inflationsziels von 2 % zu sprechen.
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