Strukturwandel: Neue Weltordnung fordert die Globalisierung heraus
Die Errungenschaften der Globalisierung haben zu Beginn des neuen Jahrtausends ihren Höhepunkt erreicht und drohen nun durch eine Verschiebung der geopolitischen Machtverhältnisse zunichte gemacht zu werden. Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf das Verhalten der Unternehmen und machen einen wesentlichen Aspekt des Strukturwandels in Bezug auf die Geldpolitik und das Marktgeschehen aus
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Ein jahrzehntelanger Globalisierungsprozess neigt sich dem Ende zu. Die Welt wird immer protektionistischer.
2016 gewann Donald Trump mit einem populistischen Wahlprogramm, das China für den Niedergang der amerikanischen Industrie verantwortlich machte. Die Unterbrechung der Lieferketten durch die Covid-19-Pandemie und die russische Invasion der Ukraine haben noch mehr Länder dazu veranlasst, ihre Abhängigkeit von einigen wenigen Lieferanten wichtiger Güter und Rohstoffe zu hinterfragen.
Und die verhängten harten Sanktionen gegen Russland haben eine neue Bruchlinie in der Weltordnung offenbart. Länder, die sich in der Vergangenheit in bestimmten Fragen eher auf die Seite der USA als auf die Chinas stellten, nehmen heute eine neutralere Haltung ein.
Das Entstehen einer neuen Weltordnung wird wahrscheinlich zu einem neuen globalen Investitionszyklus führen. So müssen globale Wertschöpfungsketten neu organisiert und die Energiewende beschleunigt werden. Zudem reagieren die Regierungen auf die als größer empfundene Kriegsgefahr mit höheren Verteidigungsausgaben.
Einige Länder werden von der Neuordnung der globalen Wertschöpfungsketten profitieren, insbesondere diejenigen, die in der Lage sind, ihren Marktanteil zu erhöhen oder die natürlichen Ressourcen zu exportieren, die für die Energiewende benötigt werden.
Da die Entscheidungsfindung in Zukunft jedoch eher von Sicherheitsbedenken als von wirtschaftlicher Effizienz bestimmt sein wird, ist zu befürchten, dass die neue Ordnung die Weltwirtschaft in eine eher stagflationäre Richtung lenken wird. Diese Veränderungen sind ein wesentlicher Aspekt einer neuen Ära, die durch Versorgungsengpässe und häufigere Preissteigerungen gekennzeichnet sein wird (siehe Regimewechsel: In die neue Ära investieren).
Rückblickend scheint es, als hätten die Errungenschaften der Globalisierung zu Beginn des neuen Jahrtausends ihren Höhepunkt erreicht. Heute geraten diese Errungenschaften aufgrund sich vertiefender Risse in der Weltordnung ins Wanken und fordert China die Vorherrschaft der USA zunehmend heraus. Die Verschiebung der geopolitischen Machtverhältnisse durch die Entkoppelung der USA und Chinas hat erhebliche Auswirkungen auf das Verhalten von Unternehmen.
Militärische und Handelskriege als Beginn einer neuen Weltordnung und Bewährungsprobe für alte Bündnisse
Die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China nehmen seit einiger Zeit zu.
In Washington wächst die Sorge vor negativen Auswirkungen der chinesischen Stärke auf die eigene Wirtschaft, nachdem die Deindustrialisierung ein Vakuum hinterlassen hat, das von einer populistischen Wirtschaftspolitik ausgefüllt wird. Dies verhalf Donald Trump zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2016 und signalisierte den Startschuss für den Handelskrieg mit China.
Der Unterschied zu den frühen Nullerjahren könnte kaum größer sein. Damals feierte die US-Regierung unter Bill Clinton den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO). Heute hingegen ist das „China-Bashing“ das Einzige, worin sich Vertreter der beiden großen Parteien in den USA, der Demokraten und Republikaner, einig sind. In einem stark polarisierten Kongress fordern nicht mehr nur die Extreme des politischen Spektrums radikale Maßnahmen.
Die Bedenken hinsichtlich einer zu großen Abhängigkeit von China wurden während der Covid-19-Pandemie noch verstärkt, als die Lieferketten in Asien durch die Lockdowns unterbrochen wurden und es zu Engpässen bei bestimmten Gütern kam. Zunächst beschränkten sich die Engpässe auf Bereiche wie medizinische Ausrüstung und PSA, als die Welt verzweifelt versuchte, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Sie weiteten sich jedoch aus, da sich die Nachfrage in weiten Teilen der Welt während der Lockdowns auf den Gütersektor konzentrierte, wo die Hersteller mit anhaltenden Störungen konfrontiert waren und nicht über die Kapazitäten verfügten, um die ungewöhnlich hohe Nachfrage zu befriedigen. Dadurch verlängerten sich die Lieferzeiten in der verarbeitenden Industrie weltweit (Abbildung 1), was den Weg für einen starken Anstieg der Güterpreisinflation ebnete.

Diese Engpässe haben viele Länder dazu veranlasst, sich Gedanken über ihre Abhängigkeit von einigen wenigen Ländern, insbesondere China, bei der Versorgung mit wichtigen Gütern zu machen. Der Wendepunkt, der eine neue Weltordnung einleitete und die globalen Wertschöpfungsketten aufbrach, war aber wohl die Entscheidung Russlands, in die Ukraine einzumarschieren.
Als Reaktion auf die Invasion verhängten die USA und ihre Verbündeten in beispiellosem Ausmaß und mit schnellem Tempo Finanz- und Wirtschaftssanktionen.
Russland hatte nur einen geringen Anteil am Welthandel (ca. 2 %) und spielte bei internationalen Investitionen und in globalen Wertschöpfungsketten eine relativ geringe Rolle. Die Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen schienen daher auf den ersten Blick keine Bedrohung für die Globalisierung im Allgemeinen darzustellen. Das Land ist jedoch ein bedeutender globaler Energieproduzent, auf den im Jahr 2020, also vor dem Einmarsch in die Ukraine, 12 % der weltweiten Ölexporte und 3,6 % der Gasexporte entfielen (Quelle: www.trademap.org).
Der Krieg offenbarte die starke Abhängigkeit Europas von Energieimporten aus Russland, deren Preise in die Höhe schnellten und die Eurozone zeitweise in eine tiefe Rezession zu stürzen drohten.
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen lassen allmählich nach, da die Energiepreise sinken. Dennoch haben die Sanktionen unauslöschliche Spuren in der Welt hinterlassen. So sind sich Unternehmen heute stärker als vor dem Krieg der politischen Risiken und Kosten bewusst, die mit internationalem Handel und ausländischen Direktinvestitionen verbunden sind.
Kurz nach dem Einmarsch Russlands schätzte die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen, dass zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in Russland von Unternehmen aus Industrieländern stammten, die den Krieg verurteilten. Ein Großteil davon ist inzwischen abgeschrieben.
Zudem scheint die rasche Verhängung harter Sanktionen die Gräben zwischen den USA und China vertieft zu haben, sodass die Gefahr einer dauerhafteren Entkoppelung der beiden größten Volkswirtschaften der Welt besteht. Bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) im vergangenen Jahr wurde zwar eine Zweidrittelmehrheit erreicht, aber China gehörte zu den 24 Ländern, die gegen den Beschluss stimmten.
Russland und China, vereint in ihrem Misstrauen gegenüber westlichen Institutionen, sind eine Partnerschaft „ohne Grenzen“ eingegangen, die Raum für weitreichende Kooperationen bietet. Wirtschaftlich können sich beide Länder gegenseitig stärken: Russland braucht modernere Technologien, China hat einen hohen Rohstoffbedarf. Beide hegen ein besonderes Misstrauen gegenüber der NATO (North Atlantic Treaty Organization).
Dieses Abstimmungsverhalten könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass die USA und ihre Verbündeten in anderen Teilen der Welt an Einfluss verlieren. Länder/Regionen, die in der Vergangenheit mit den USA verbündet waren, wie die Mitglieder des Golfkooperationsrates, einige lateinamerikanische Länder und andere Schwellenländer, enthielten sich zusammen mit Indien bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem UNHRC ihrer Stimme.
Verbündete, die in der Vergangenheit durch den Zufluss langfristiger US-Investitionen belohnt wurden, erscheinen nun weniger verlässlich. Die Ablehnung eines von den USA unterstützten Antrags des UNHCR auf eine Debatte über die Menschenrechtslage im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang lieferte weitere wichtige Erkenntnisse. Es gab eine Vorstellung davon, auf welcher Seite der Kluft bestimmte Länder landen könnten, wenn es zu einer ernsthaften Entkoppelung zwischen den USA und China kommen sollte.
Peking hat bisher darauf geachtet, den Handel mit Russland nicht zu forcieren, um eine Eskalation der Spannungen zu vermeiden.
Mit der Weiterentwicklung der Partnerschaft ohne Grenzen besteht jedoch die Gefahr, dass die Unterstützung oder auch nur fehlender Widerstand gegenüber Russland als feindselig interpretiert wird und letztlich zu Sanktionen des Westens führt. Multilaterale Bemühungen um eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, wie z. B. der CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU, dürften in einer neuen Weltordnung, die auch im weitesten Sinne durch eine beschleunigte Reaktion auf den Klimawandel gekennzeichnet ist, auf die Probe gestellt werden.
Mit den Veränderungen, die sich hier vollziehen, beschäftigt sich der fünfte Teil unserer Serie zum Strukturwandel (siehe Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf). Wie bereits erwähnt, gehörte Indien zu den wichtigen Ländern, die sich bei der oben erwähnten Abstimmung im UNHRC ihrer Stimme enthielten, und inzwischen ist die Hälfte der russischen Ölexporte auf dem Seeweg für Indien und China bestimmt. Gemeinsam mit China hat sich Indien gegen den CO2-Grenzausgleichsmechanismus ausgesprochen und ihn als Deckmantel für Protektionismus bezeichnet.
Höhere politische Risiken veranlassen Unternehmen zur Reorganisation ihrer globalen Wertschöpfungsketten und zur Abkehr von „just in time“
Im Vorfeld der Zwischenwahlen in den USA im November 2022 war eine Welle neuer protektionistischer Maßnahmen zu beobachten. Diese Maßnahmen bedrohen ernsthaft den Handel in wichtigen Sektoren wie der Halbleiterindustrie zwischen China und Taiwan sowie zwischen den USA und China.
Sie haben erneut gezeigt, wie gefährdet globale Wertschöpfungsketten sind. Diese wurden schließlich bereits durch den Brexit, die Zölle infolge der Trump-Ära-Handelskonflikte nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ und die Covid-19-Pandemie auf eine harte Probe gestellt. All diese Ereignisse sowie die Kosten des Krieges in der Ukraine werden das Verhalten multinationaler Unternehmen und die Art und Weise, wie ausländische Direktinvestitionen in Zukunft getätigt werden, wahrscheinlich beeinflussen.
Wie weltweit tätige Unternehmen erfahren haben, kann es teuer werden, politische Risiken zu ignorieren. Allerdings ist es nie einfach, Risiken im Voraus zu erkennen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Unternehmen bei der Bewertung ihrer zukünftigen Optionen stärker darauf achten werden, wie Länder in internationalen Foren abstimmen.
Die Aufzeichnungen der Telefonkonferenzen grosser börsennotierter US-Unternehmen zu ihren Geschäftsergebnissen zeigen, dass viele bereits über die Notwendigkeit einer Diversifizierung ihrer Lieferketten diskutieren. Suchanfragen nach Begriffen wie „Reshoring“ zeigen in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Trefferquote (Abbildung 2). Es scheint also, dass die Risiken einer neuen Weltordnung bereits zu einer Reorganisation der globalen Wertschöpfungsketten führen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist der Weltenergiemarkt völlig aus den Fugen geraten, weil Europa keine russische Energie mehr kauft.
Russland war gezwungen, seine Energieexporte in ihm freundlicher gesinnte Länder wie China und Indien umzulenken, die sie mit einem Abschlag gegenüber den Weltmarktpreisen abnehmen. In Europa bestand die kurzfristige Lösung darin, den Energieverbrauch zu senken und schnell die notwendige Infrastruktur zu schaffen, z. B. in Form von LNG-Terminals, um die russischen Pipeline-Importe zu ersetzen.
Die weltweiten Versorgungsprobleme haben die Energiewende jedoch beschleunigt. Mit Investitionen in erneuerbare Energien versuchen die Länder, ihre Selbstversorgung zu verbessern.
Der Inflation Reduction Act in den USA sieht umfangreiche Subventionen in Höhe von 369 Mrd. US-Dollar für Unternehmen vor, die im Bereich der sauberen Energien tätig sind. Dieses Beispiel von fiskalischem Aktivismus (siehe den zweiten Teil der Serie Strukturwandel: „Fiskalischer Aktivismus“ hält wieder Einzug) umfasst auch protektionistische Maßnahmen. Dazu gehört die Verpflichtung, lokal hergestellte Anlagen zu kaufen, anstatt Waren aus China zu importieren, das derzeit die Herstellung von Produkten für saubere Energien dominiert.
Der wirtschaftlichen Begünstigung von Unternehmen in den USA durch hohe Subventionen will man auch in Europa mit einer neuen Industriepolitik für die Energiewende begegnen. Damit zeichnet sich ein grüner Subventionswettlauf in der westlichen Welt ab.
Auch in anderen Schlüsselindustrien schaffen Regierungen Anreize für Produktionsverlagerungen. Der Chips and Science Act, der 2022 in den USA verabschiedet wurde, sieht beispielsweise neue Finanzmittel in Höhe von rund 280 Mrd. US-Dollar für die Forschung und Herstellung von Halbleitern in den USA vor, einschließlich umfangreicher Steuervergünstigungen für Investitionsausgaben in diesem Sektor. Dies hat bereits dazu geführt, dass große Unternehmen wie die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) Pläne für neue Anlagen in den USA angekündigt haben.
Multinationale Unternehmen werden wahrscheinlich auch in Erwägung ziehen, ihre Aktivitäten aus Ländern wie China in Länder zu verlagern, die weniger geopolitischen Risiken oder der Gefahr von Handelszöllen ausgesetzt sind. Und die Unterbrechung globaler Wertschöpfungsketten, die in den letzten Jahren zu Engpässen bei wichtigen Gütern geführt hat, bedeutet, dass Unternehmen ihre Lagerhaltung zunehmend von „just in time“ auf „just in case“ umstellen werden.
Einige Schwellenländer könnten Marktanteile gewinnen, wenn Unternehmen aus China abwandern
Nach Schätzungen des McKinsey Global Institute könnten in den nächsten fünf Jahren 15 bis 25 % des weltweiten Warenhandels in andere Länder verlagert werden. Für Branchen, die derzeit in China relativ geringwertige Güter produzieren, kommen einige asiatische Schwellenländer als kostengünstige Ersatzstandorte in Frage. Diese Länder zeichnen sich durch ein relativ attraktives Geschäftsumfeld, hohe Governance-Standards und/oder produktive Arbeitskräfte mit niedrigen Arbeitskosten aus.
Zu diesen Ländern gehören Indien, Malaysia, die Philippinen, Thailand, Vietnam und Indonesien, die unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen, was eine Rolle in der Frage spielen wird, welche Branchen sich dort niederlassen.
Für viele Unternehmen ist beispielsweise die relativ große Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Indien, die zu niedrigen Kosten arbeitet, sicherlich attraktiv. Zwar schneidet Indien bei den Rahmenbedingungen für Unternehmen relativ schlecht ab, aber das könnte sich bald ändern. Covid-19 hat die Regierung von Narendra Modi gezwungen, Reformen in Bereichen wie dem Arbeitsmarkt und der Landwirtschaft voranzutreiben, die letztlich die Bedingungen für Unternehmen verbessern könnten.
Wie Indien sah sich auch Indonesien durch die Covid-Krise gezwungen, längst überfällige Strukturreformen anzugehen und hat kürzlich ein Reformpaket, genannt „Omnibus Law“, verabschiedet. Das Land schneidet im Ranking gut ab, weil es eine relativ große und junge Bevölkerung hat, was die Arbeitskosten niedrig hält.
Wenn es diesen Ländern gelingt, eine signifikante Anzahl von Herstellern anzuziehen, könnte dies erhebliche positive wirtschaftliche Auswirkungen haben. Kapitalzuflüsse zur Finanzierung von Investitionen und zum Bau von Fabriken und Infrastruktur würden das Wirtschaftswachstum kurzfristig ankurbeln.
Längerfristig würde ein Anstieg der Industrieexporte die Produktivität und damit das potenzielle BIP-Wachstumspotenzial erhöhen. Dies würde wahrscheinlich zu einer Verbesserung der Zahlungsbilanz, einer Senkung der strukturellen Zinssätze und einer besseren Wechselkursdynamik führen. All das würde die Wertentwicklung an den inländischen Finanzmärkten stützen.
Von einer beschleunigten Energiewende können hochwertige Industrien in Schwellenländern und die Produzenten der für die Energiewende benötigten Rohstoffe profitieren
Bislang war es China, das es den fortgeschrittenen Industrieländern des Westens ermöglichte, die Energiewende voranzutreiben. So ist das Land bereits ein wichtiger Hersteller von Anlagen zur Erzeugung sauberer, erneuerbarer Energien und dominiert die Produktion von Solarzellen.
Die Subventionen in Europa und den USA zielen jedoch darauf ab, die Selbstversorgung mit umweltfreundlichen Technologien zu erhöhen. „Buy Local“-Anforderungen werden dafür sorgen, dass die höheren Investitionen in diesen Regionen seltener nach China abfließen. Die eigentlichen Gewinner der Energiewende werden voraussichtlich die Länder und Unternehmen sein, die wichtige Produkte für die Energiewende herstellen und bei denen sie einen klaren Wettbewerbsvorteil haben. So dürfte das globale Duopol in der Halbleiterindustrie mit Samsung in Südkorea und TSMC in Taiwan diesen beiden Ländern sehr zugutekommen.
Die hergestellten Endprodukte sind jedoch nur ein Teil der Geschichte, denn für die Energiewende werden große Mengen an natürlichen Ressourcen benötigt. Daraus ergeben sich neue Verwundbarkeiten für Länder in Europa und die USA. Denn viele wichtige Exporteure von Industriemetallen, die für die meisten neuen Energietechnologien benötigt werden, haben sich bisher auf die Seite Chinas geschlagen.
Die Lieferketten der für die Energiewende benötigten Rohstoffe sind geografisch stärker konzentriert als die von Öl und Gas. So konzentriert sich die weltweite Produktion von Lithium, Kobalt und seltenen Erden auf wenige Länder (siehe Abbildung 3). China allein steht für rund 60 % der weltweiten Produktion von seltenen Erden und dominiert auch die Produktion von Graphit, einem wichtigen Bestandteil von Batterien.
In den letzten Jahren hat das Land auch stark in Regionen wie Afrika investiert, in denen viele Reserven liegen. Rund 70 % des weltweiten Kobaltangebots stammen beispielsweise aus der Demokratischen Republik Kongo.
Während die erdölexportierenden Länder des Golfkooperationsrates langfristig an Einfluss auf der Weltbühne verlieren könnten, könnten Länder, die die Produktion begehrter Metalle dominieren, an Einfluss gewinnen und zu einer weiteren Quelle langfristiger Spannungen zwischen China und den USA werden.

Bei Metallen wie Aluminium, Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium, die in einer Vielzahl von Produkten verwendet werden, ist mit einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu rechnen. Die Preise dieser Metalle können im Laufe der Zeit stark ansteigen und den Schwellenländern, die diese Metalle exportieren, hohe Gewinne bescheren.
Die Ausfuhren von Aluminiumerz (Bauxit) machten im Jahr 2020 fast 25 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Guineas aus und die Wirtschaft des Landes dürfte in Zukunft erheblich von der starken Nachfrage profitieren. Auch in Sambia, Chile und der Demokratischen Republik Kongo haben die Exporte von Kupfer und verwandten Produkten einen hohen Anteil am BIP.
Abgesehen von diesen wenigen Nutznießern lässt die ungleiche Verteilung der knappen Ressourcen an wichtigen Metallen jedoch erwarten, dass die Rohstoffpreise im Zuge der Energiewende für den Rest der Welt weiter steigen werden.
Deglobalisierung und neue Weltordnung – Bedrohung der Weltwirtschaft durch Stagflation
Zwar kann es einige Gewinner geben, die von einer Verlagerung der globalen Produktion und einer beschleunigten Energiewende profitieren. Allerdings ist hier der springende Punkt: Die Bemühungen zur Sicherung der Lieferketten könnten sich insgesamt negativ auf die Weltwirtschaft auswirken. Während die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten eine treibende Kraft für schnelleres Wachstum, niedrigere Inflation und niedrigere Zinsen war, droht eine Umkehr dieser Trends die Welt in eine Stagflation zu stürzen.
Viel wird davon abhängen, wie weit die Entkoppelung weltweit voranschreiten wird. Einige Branchen haben sich bereits von China abgewandt, ohne dass dies spürbare Auswirkungen auf das globale Wachstum und die Inflation gehabt hätte. So erreichte der Marktanteil Chinas an der weltweiten Schuh- und Bekleidungsproduktion vor etwa zehn Jahren seinen Höhepunkt. Steigende Löhne in arbeitsintensiven Branchen veranlassten die Unternehmen dann, ihre Produktion in Niedriglohnländer wie Bangladesch und Vietnam zu verlagern, ohne dass dies inflationäre Auswirkungen hatte (Abbildung 4).

Darüber hinaus gibt es einige Branchen, für die sich der Betrieb regionaler Versorgungszentren anbietet, ohne dass dies erkennbare negative Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit hat. Dies könnte sich als wichtig erweisen, da viele multinationale Unternehmen wahrscheinlich zögern werden, sich aus wichtigen langfristigen Wachstumsmärkten wie China vollständig zurückzuziehen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie, in der Unternehmen in drei großen Regionen – Nordamerika, Europa und Asien – Fahrzeuge herstellen. Die Unternehmen haben diese komplexen Prozesse erfolgreich gemeistert, ohne die Preise zu erhöhen. Im Gegenteil: Autos sind real billiger geworden (Abbildung 5).

Es besteht jedoch die große Gefahr, dass die Lieferketten in Zukunft ineffizienter werden. Eine naheliegende Maßnahme für multinationale Unternehmen, die Unterbrechungen in der Lieferkette befürchten, ist die Erhöhung der Lagerbestände. Der Aufbau von Puffern würde jedoch eine Umkehrung der effizienteren Just-in-time-Lieferungen bedeuten, die im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts zu einem deutlichen Rückgang des Verhältnisses von Lagerbeständen zu Verkäufen beigetragen haben.
Dieser Rückgang fiel in die Zeit zwischen dem WTO-Beitritt Chinas und der globalen Finanzkrise. Die jüngsten Trends in den USA deuten jedoch darauf hin, dass bereits in den letzten Jahren und vor Covid ein gewisser Anstieg des Verhältnisses zwischen Lagerbeständen und Verkäufen zu verzeichnen war. Dies spiegelt möglicherweise nicht das breitere Bild auf internationaler Ebene wider und könnte auf die niedrigen Zinssätze nach der Finanzkrise zurückzuführen sein, die die Kosten für die Finanzierung von Lagerbeständen verringert haben.
In Zukunft werden die Lagerbestände wahrscheinlich steigen, da sie nur schwach zyklisch sind und die Unternehmen es langfristig vorziehen dürften, höhere Lagerbestände zu halten, um sich gegen Lieferunterbrechungen abzusichern. Höhere Zinsen könnten diesen Trend jedoch abschwächen.
Je mehr Lieferketten aus Sicherheitsgründen und nicht aus wirtschaftlichen Grundüberlegungen verlagert werden, desto suboptimaler wird das Ergebnis sein. Obwohl wir beispielsweise eine Handvoll asiatischer Länder identifiziert haben, die geeignet sind, als Ersatz für China zu dienen, könnten Unternehmen, die die Region vollständig verlassen wollen, gezwungen sein, sich für weniger wettbewerbsfähige Länder zu entscheiden.
Reshoring in Form von Rückverlagerungen der Lieferketten ins Inland würde zwar die heimische Wirtschaft ankurbeln, wäre aber eindeutig ein Rückschritt gegenüber dem Modell globalisierter erweiterter Lieferketten. Wenn sich das Reshoring durchsetzt, könnten die Lieferketten robuster und widerstandsfähiger gegenüber globalen Schocks werden, aber diese Sicherheit hat ihren Preis.
Beispielsweise wird die Rückverlagerung der Produktion aus Niedriglohnregionen wie Asien in die entwickelten Märkte kostspielig sein und eine Phase hoher Investitionen erfordern. Die multinationalen Unternehmen würden zwar von niedrigeren Frachtkosten (Transport und Treibstoff) profitieren, müssten aber höhere Lohnstückkosten in Kauf nehmen, da die Löhne der Arbeitnehmer deutlich höher sind als in Ländern wie China.
Wie wir im vierten Teil der Serie über den Strukturwandel diskutieren werden, bedeutet dies, dass das Reshoring mit größeren Investitionen in Robotik und künstliche Intelligenz (KI) einhergehen wird.
Auch Militärausgaben dürften steigen, mit Auswirkungen auf andere Investitionen
In der Praxis wird es wahrscheinlich zu einer Mischung aus Reshoring, Erhöhung der Lagerbestände, „Friendshoring“, bei dem Unternehmen ihre Lieferketten in „sicherere“ Länder diversifizieren, und einem teilweisen Rückzug aus dem internationalen Handel kommen. Alle diese Massnahmen zur Sicherung der Versorgung erfordern jedoch erhebliche Investitionen. Und dies zu einer Zeit, in der fiskalischer Aktivismus bedeutet, dass die Staatsausgaben in Zukunft wahrscheinlich steigen werden.
Mit dem Entstehen einer neuen Weltordnung wird die Gefahr von Konflikten stärker wahrgenommen, was zu einem Anstieg der Militärausgaben führen dürfte – ein weiterer Aspekt des Strebens nach mehr Sicherheit.
Die Militärausgaben liegen in den meisten Ländern zwischen 1 und 2 % des BIP (Abbildung 6), dürften aber deutlich ansteigen – in den 1960er Jahren betrugen sie im weltweiten Durchschnitt etwa 6 % des BIP, in den 1970er und 1980er Jahren etwa 4 %. Trotz der bedrohlichen Lage der britischen Staatsfinanzen hat die Regierung noch Spielraum gefunden, um die Militärausgaben in den nächsten fünf Jahren um 6 Mrd. Pfund zu erhöhen. Und die jüngste Vereinbarung zwischen den USA und Großbritannien über die Lieferung von U-Booten an Australien zeigt, dass dieser Trend bereits Fahrt aufnimmt.

Höhere Militärausgaben sind eine gute Nachricht für den Verteidigungssektor. Sie werden jedoch die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben – und das zu einer Zeit, in der wir erwarten, dass die allgemeine Rückkehr des fiskalischen Aktivismus die öffentlichen Haushalte belasten wird. All dies könnte die Zinsen in die Höhe treiben und letztlich andere Investitionen verhindern, die beispielsweise im Privatsektor notwendig sind, um die Energiewende und die Umstrukturierung der Lieferketten voranzutreiben. Dies könnte zu weniger effizienten Ergebnissen führen.
All dies bedeutet, dass sich die Entstehung einer neuen Weltordnung negativ auf die Weltwirtschaft auswirken dürfte. Da die Länder ihre Energieversorgung für die Zukunft sichern wollen und die Unternehmen enorme Anstrengungen zum Schutz ihrer Lieferketten unternehmen, könnte es in den kommenden Jahren weltweit zu einem Investitionsboom kommen. Und dies in einer Zeit, in der auch die öffentlichen Ausgaben voraussichtlich steigen werden.
Höhere Kosten in Verbindung mit Engpässen bei wichtigen Vorprodukten und weniger effizienten Lieferketten drohen jedoch langfristig zu einer strukturell höheren Inflation zu führen. Und da die Zentralbanken wahrscheinlich der Inflationsbekämpfung Vorrang vor der Wachstumsförderung einräumen werden (siehe den ersten Teil der Serie Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum), scheint die neue Weltordnung kurz davor zu stehen, der Weltwirtschaft einen schweren Schlag in Form einer Stagflation zu versetzen.
Zusammenfassung und Fazit
- Es scheint, dass eine neue Weltordnung im Entstehen begriffen ist. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die USA ihre aggressive Handels- und Sicherheitspolitik gegenüber China aufgeben werden. Dies lässt darauf schließen, dass die beiden Supermächte auch in den kommenden Jahren um die wirtschaftliche Vorherrschaft in der Welt konkurrieren und sich dabei weiter voneinander entkoppeln werden.
- Die russische Invasion in der Ukraine hat weitere Risse in Amerikas Einfluss in der Welt offenbart, als traditionelle Verbündete der USA die von Washington verhängten Sanktionen nicht unterstützten.
- Die Entstehung einer neuen Weltordnung hat wahrscheinlich eine Neuordnung der globalen Wertschöpfungsketten zur Folge. Die Unterbrechungen in der Anfangsphase von Covid-19 haben die Besorgnis über ihre hochkonzentrierte Natur deutlich gemacht. Die Unternehmen werden wahrscheinlich ihre Lagerbestände erhöhen, um kurzfristige Engpässe zu vermeiden, und gleichzeitig ihre Produktion in andere Teile der Welt verlagern.
- Die neue Weltordnung dürfte auch die Energiewende beschleunigen. Die übermäßige Abhängigkeit Europas von russischen Energieexporten ist seit der Entscheidung Moskaus, in die Ukraine einzumarschieren, offensichtlich geworden. Die EU wird wahrscheinlich dem Beispiel der USA folgen und die Energiewende in großem Umfang steuerlich unterstützen.
- Die Militärausgaben werden voraussichtlich steigen, da die neue Weltordnung die Gefahr von Konflikten erhöht. Russland ist in die Ukraine einmarschiert und die Spannungen zwischen China und den USA um Taiwan werden kaum nachlassen.
- Einige Länder werden von den Veränderungen profitieren, die die Entstehung einer neuen Weltordnung mit sich bringt. Vor allem Länder der aufstrebenden Welt, die aus China abwandernde Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes anziehen, könnten ihr Wachstumspotenzial durch höhere Marktanteile steigern. Diejenigen Länder, die für die Energiewende wichtige Mineralien exportieren, werden in den kommenden Jahren eine steigende Nachfrage verzeichnen.
- Die neue Weltordnung wird jedoch negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Der Umbau der globalen Wertschöpfungsketten, die Energiewende und zusätzliche Militärausgaben werden viel Geld kosten. Gleichzeitig werden weniger effiziente Lieferketten die Kosten in die Höhe treiben. In der Folge dürften Inflation und Zinsen strukturell höher ausfallen und das Wachstum verlangsamen.
Weitere Informationen zu den Markt- und wirtschaftlichen Auswirkungen des Strukturwandels finden Sie unter: www.schroders.com/regimeshift.
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