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Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt Fahrt auf

Ein Paradigmenwechsel in der Politik und im Marktverhalten treibt die Massnahmen zur Verhinderung einer unkontrollierten Erderwärmung voran. Am deutlichsten zeichnet sich dies wohl bei der Energiesicherheit ab, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine in Frage gestellt wurde. Dadurch wurden wiederum die Bemühungen für den Übergang auf eine grüne Wirtschaft noch dringlicher.

21.04.2023
Bericht lesenRegime shift: the accelerating response to climate change
8 Seiten

Authors

Irene Lauro
Ökonomin

Individuelle Länder dürften die Dekarbonisierung der Stromerzeugung nun rasch vorantreiben, da die Emissionen in den nächsten sieben Jahren um mehr als 40 % sinken müssen – ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu Netto-Null bis 2050. Der Übergang auf Netto-Null-Emissionen stellt einen neuen wichtigen strukturellen Trend für die Weltwirtschaft dar, da er eines radikalen Wandels im Energiesystem und in anderen Schlüsselsektoren der Wirtschaft bedarf. In diesem Kommentar erörtern wir die politischen Massnahmen, welche die globalen Regierungen voraussichtlich ergreifen werden, um Anreize für den Übergang auf Netto-Null zu schaffen, sowie deren makroökonomische Auswirkungen.

Die Energiewende dürfte mittelfristig den Inflationsdruck verstärken. Zugleich ist von schwächeren Wachstumsaussichten auszugehen. Darüber hinaus sprechen wir in diesem Kommentar darüber, dass die Investitionen in Schlüsseltechnologien zunehmen. Innovationen dürften bei den Umwälzungen in der globalen Wirtschaft daher als weitere wichtige Triebfeder agieren. Die Änderungen werden den Aktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette für nachhaltige Energie zugutekommen und viele Möglichkeiten für Investoren eröffnen, während der Ausbau grüner Energietechnologien immer mehr an Fahrt aufnimmt. Generell sind diese Veränderungen ein weiterer Aspekt eines durch Engpässe auf der Angebotsseite und häufigere Preiserhöhungen geprägten Paradigmenwechsels (siehe Regimewechsel: In die neue Ära investieren).

Reaktion auf den Klimawandel dürfte zunehmen, da sich Regierungen zunehmend mit physischen Risiken konfrontiert sehen

Im Vorfeld der Umsetzung des 2015 vereinbarten Abkommens von Paris zum Klimawandel wurden die Regierungen aufgefordert, ihre national festgelegten Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) und Massnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen (THG) vorzulegen.

Mit den NDCs soll das Ziel erreicht werden, den Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Folglich stellen sie die beste Chance dar, einen verheerenden Klimawandel zu verhindern. Ermutigend ist, dass in den letzten Jahren die Zahl der Länder, die sich verpflichtet haben, ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu verringern, deutlich gestiegen ist.

Mehr als 40 Länder und die Europäische Union (EU) haben inzwischen derlei Zusagen geleistet. Auf sie entfallen immerhin rund 70 % der weltweiten CO₂-Emissionen (Abbildung 1). Allerdings sind in weniger als einem Viertel dieser Länder diese Zusagen rechtsverbindlich. Ferner reicht die derzeitige Politik im Bereich der Treibhausgasemissionen nicht aus, um die schädlichsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern.Die diesjährige COP28, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet, wird mit einer „globalen Bestandsaufnahme“ ein Schlaglicht auf die bisher gemachten Zusagen werfen. Da dieser Prozess die erste offizielle Überprüfung des Pariser Abkommens sein wird, wird die Klimapolitik genau unter die Lupe genommen werden, um festzustellen, ob alle Parteien ausreichende Fortschritte in Richtung Netto-Null machen.

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Es werden immer mehr Massnahmen im Kampf gegen den Klimawandel ergriffen. In den letzten drei Jahren sind die USA dem Pariser Abkommen wieder beigetreten und China hat sich verpflichtet, bis 2060 das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Die Massnahmen gegen den Klimawandel dürften zunehmen, da Regierungen den physischen Risiken eines ungeordneten Klimawandels immer mehr ausgesetzt sind. Es scheint, als ob sich die politischen Entscheidungsträger der grossen westlichen Volkswirtschaften zunehmend einig darin sind, dass es strengerer Vorschriften bedarf, um Veränderungen herbeizuführen – entweder in Form von Gesetzen, mit denen grüne Subventionen zur Förderung bestimmter Verhaltensweisen eingeführt werden, oder von CO₂-Preisen, mit denen solche Verhaltensweisen erzwungen werden sollen.

Ein Wandel in der Klimagesetzgebung, wie er in jüngster Zeit durch neue industriepolitische Massnahmen in der EU und den USA zu beobachten war, die Investitionen in umweltfreundliche Technologien erfordern, wird helfen, Klimapolitik in die Tat umzusetzen.

Die USA haben sich bislang aus politischen Gründen CO₂-Steuern verweigert und stattdessen für grüne Subventionen entschieden, um Anreize für den Übergang auf Netto-Null zu schaffen. Im Gegensatz dazu haben die Länder Europas die Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften seit Anfang der 2000er Jahre durch die Einführung von CO₂-Preisen vorangetrieben.

Bislang ist die EU in Sachen Klimaschutzmassnahmen und -vorschriften führend. Sie weist einen der höchsten CO₂-Preise weltweit auf und ist im Begriff, die erste Kohlenstoffgrenzsteuer überhaupt einzuführen. Auch die Sorge um die Energiesicherheit nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine verstärkte unlängst das Interesse an rapiden Veränderungen, insbesondere in der EU. Allerdings gibt es noch zahlreiche politische Hindernisse zu bewältigen, nicht zuletzt die seit dem Krieg veränderte geopolitische Gemengelage. Wir haben es mit einer sich herauskristallisierenden neuen Weltordnung zu tun (wie wir in Teil 3 der Serie über den Strukturwandel untersuchen werden), mit grossen umweltverschmutzenden Schwellenländern auf der einen Seite und den USA und der EU auf der anderen Seite.

Investitionen in grüne Technologien durch Anreize oder Verbote erreichbar?

Die Dekarbonisierung stellt einen umfassenden Paradigmenwechsel dar, der sich in den kommenden Jahren beschleunigen dürfte. Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen erfordert eine radikale Änderung des Energiemixes. Die Bepreisung von Kohlenstoff, entweder in Form eines „Cap and Trade“-Rahmens (Festlegung einer Obergrenze und damit verbundener Handel mit Kohlenstoffzertifikaten) wie das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) oder einer CO₂-Steuer, gilt weiterhin als der wichtigste politische Ansatz zur Lösung des Klimaproblems. Bei der Internalisierung der Kosten infolge negativer Auswirkungen des Klimawandels auf Gesundheit, Umwelt und zukünftige Generationen dienen CO₂-Preise als grosser Anreiz für einen geringeren Verbrauch fossiler Brennstoffe und den Übergang auf Netto-Null-Emissionen.

Die Bepreisung von Kohlenstoff kann das durch Umweltexternalitäten bedingte Marktversagen, d. h. wenn ein gehandeltes Gut (oder eine Dienstleistung) Umweltschäden verursacht, die nicht im Preis berücksichtigt werden, auf effektive Weise korrigieren.

Ein Preis für Umweltverschmutzung veranlasst Erzeuger und Verbraucher, von einem suboptimalen Gleichgewicht, bei dem ein Marktversagen vorliegt, zu einer effizienten Ressourcenallokation überzugehen, in deren Rahmen der Gleichgewichtspreis dieser Externalität Rechnung trägt. Ein CO₂-Preis ist ein wirtschaftliches Signal für die Verschmutzer und gibt ihnen die Möglichkeit, entweder Abhilfe zu schaffen und ihre Emissionen zu senken oder weiterhin Emissionen zu verursachen und dafür eben zu bezahlen. Indem Emissionen teurer werden als saubere Quellen, drosselt die CO₂-Bepreisung nicht nur die Nachfrage nach fossilen Energieträgern, sondern fördert auch Unternehmensinvestitionen in erneuerbare Energien und kohlenstoffarme Technologien. Gleichzeitig wird dabei die Energieeffizienz gesteigert.

Diese preisbedingte Innovation repräsentiert den vorschriftenbedingten Ansatz für den Klimaschutz. Die Alternative dazu ist die Förderung von Innovationen durch grüne Subventionen. Letzteres lässt sich etwa in Ländern wie den USA beobachten, die sich darauf konzentrieren, das Angebot an erneuerbaren Energien mittels staatlicher Förderung zu steigern. Dies gilt jedoch in den Augen vieler Wirtschaftsexperten nicht als kosteneffektiv und wird daher nur als zweitbeste Option gesehen. Schliesslich können Regierungssubventionen zu Überkapazitäten führen und zudem die öffentlichen Finanzen unter Druck setzen.

Im Gegensatz dazu kann die Bepreisung von Kohlenstoff eine wichtige Quelle von Einnahmen sein, welche die Regierungen wieder der Wirtschaft zuführen können. Dies kann entweder in Form von Pauschalzahlungen an Privathaushalte oder indirekt durch Verwendung der Mehreinnahmen zum Abbau des öffentlichen Defizits erfolgen. Letzteres würde es ermöglichen, andere Steuern in der Wirtschaft zu senken oder Mittel für Investitionen in die wirtschaftliche Entwicklung freizusetzen.

Die Energiewende dürfte ein kostspieliges Unterfangen sein, da die mit dem Übergang auf eine grüne Wirtschaft einhergehenden Kosten steigen werden. Wie nachstehend ausführlicher erläutert, wird eine strengere CO₂-Bepreisung mindestens für das nächste Jahrzehnt inflationär wirken, da wir unsere grosse Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen überwinden müssen. Die Zentralbanken bezeichnen dies als „Fossilflation“.

Dem wird sich ein weiteres Element der Inflation – die „Greenflation“ – aufgrund der Verknappung von wichtigen Mineralien und Metallen hinzugesellen. In Kombination mit hohen CO₂-Preisen dürften diese Engpässe die Produktionskosten in die Höhe schnellen lassen, weshalb künftig die Preise steigen und die Nachfrage sinken werden, was unweigerlich eine geringere Gesamtleistung in der Wirtschaft nach sich ziehen wird. Das bedeutet, dass der Klimaschutz das globale BIP-Wachstum in allen ausser den optimistischsten Prognosen beeinträchtigen wird.

Zwar ist es durchaus möglich, dass rasche Fortschritte in der grünen Technologie die schlimmsten dieser Produktivitätsverluste kompensieren werden, davon ist in den kommenden zehn Jahren jedoch wohl kaum auszugehen. Eventuell werden die erwarteten Produktivitätsgewinne aus erneuerbaren Energien die nächste Ära einläuten. Angesichts des Strukturwandels, mit dem wir uns hier befassen, dürfte das stagflationäre Ergebnis des Übergangs die Zentralbanken jedoch dazu zwingen, die geldpolitischen Zügel noch stärker als bisher zu straffen. Dies steht ganz im Einklang mit den im ersten Teil dieser Serie erörterten Trends (siehe Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum).

Spitzenreiter und Nachzügler der CO₂-Bepreisung

Basierend auf den Daten der Weltbank über CO₂-Preise und erfassten Emissionen haben wir einen emissionsgewichteten Durchschnittspreis berechnet. Damit soll berücksichtigt werden, dass die Politik nicht in allen Ländern die gleiche Menge an Emissionen abdeckt.

Unsere Analyse zum effektiven CO₂-Preis verdeutlicht, dass Länder wie Norwegen, Schweden, die Schweiz und die EU als Block bei den Klimaschutzmassnahmen führend sind, worin der grosse Ehrgeiz des Kontinents im Klimakampf zum Ausdruck kommt (Abbildung 2). In Schwellenländern wie China, Südafrika und Mexiko ist der CO₂-Preis indes deutlich niedriger, was darauf hindeutet, dass die Übergangsrisiken für diese Märkte weiterhin erhöht sind. Diese Risiken sind für einige grosse verschmutzende Länder wie Australien und Indien, in denen die Internalisierung der Emissionskosten in den Volkswirtschaften noch nicht begonnen hat, sogar noch grösser.

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Die inflationäre Wirkung strengerer Klimavorschriften

Die Dekarbonisierung und der Übergang auf eine nachhaltigere Wirtschaft werden voraussichtlich zumindest im nächsten Jahrzehnt erheblich zur Inflation beitragen. Das liegt daran, dass die derzeitigen Emissionskosten zu niedrig sind: Der weltweite Durchschnittspreis für Kohlenstoff liegt bei etwa 6 US-Dollar pro Tonne CO₂ (tCO₂) und damit weit unter dem Niveau von 200 US-Dollar/tCO₂, das bis 2030 erforderlich wäre, um Anreize für den Übergang auf Netto-Null zu schaffen und das 1,5°C-Ziel von Paris zu erreichen.

Angesichts der derzeit weit verbreiteten Nutzung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung dürften höhere CO₂-Preise einen grossen Einfluss auf die Energie- und Strompreise haben, vor allem in der Anfangsphase der Energiewende.

Um zu verstehen, wie sich eine aggressivere Bepreisung von Kohlenstoff auf die Inflation auswirkt, haben wir drei verschiedene Szenarien analysiert: Netto-Null-Emission, Netto-Null mit Innovation und verzögerter Übergang. Unsere Analyse verdeutlich, dass bei einer vehementeren Einführung von CO₂-Steuern der Inflationsdruck in allen unseren Szenarien im Vergleich zu den bestehenden Massnahmen, die wir mit unserem Szenario „Aktuelle Politik“ abdecken, weltweit zunehmen wird.

Die in unserer Analyse verwendeten CO₂-Preise stimmen mit denen überein, die vom Network for Greening the Financial System (NGFS) veröffentlicht wurden, einer Gruppe von 116 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, die zusammenarbeiten, um die Rolle des Finanzsystems beim Risikomanagement und der Mobilisierung von Kapital für grüne und CO₂-arme Investitionen zu stärken.

Das NGFS verwendet integrierte Bewertungsmodelle, die optimale Preise für ein bestimmtes Mass an Klimaschutz bei gleichzeitiger Maximierung des Wohlstands der einzelnen Volkswirtschaften ableiten. Das NGFS-Modell legt nahe, dass bis 2030 ein globaler CO₂-Preis von etwa 200 US-Dollar/tCO₂ erforderlich ist, um Anreize für einen Übergang auf Netto-Null zu schaffen.

Bei einem verzögerten Übergang wird die Welt ab 2040 mit strengeren Massnahmen konfrontiert, da nun eine stärkere Motivation erforderlich ist, um die globale Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen, was die Risiken einer zu langsamen Handlungsweise seitens der Regierungen verdeutlicht.

„Netto-Null mit Innovation“ berücksichtigt als einziges Szenario die mit einer stärkeren Innovation verbundenen wirtschaftlichen Vorteile. Darüber hinaus berücksichtigt Netto-Null mit Innovation mehr grüne Investitionen aus dem Privatsektor. Die CO₂-Preise sind hier geringer als im reinen Netto-Null-Szenario, da dank der Vorteile aus Forschung und Entwicklung von niedrigeren Grenzkosten der Emissionsreduzierung ausgegangen werden kann. Das heisst, dass die CO₂-Steuern in diesem Szenario nicht so hoch ansteigen müssen, um das gleiche Ausmass an präferenzbedingter Umstellung zu erreichen.

Wenn die Länder ihre Energieerzeugung dekarbonisieren und sich von besteuerten Produkten abwenden, nimmt die Inflation ab 2030 allmählich wieder ab und kehrt bis 2050 auf das Basisszenario zurück. Aufgrund der grösseren Produktivität und der weniger strengen CO₂-Bepreisung wird die Inflation unter dem Szenario „Netto-Null mit Innovation“ indes wieder schneller zum Basisszenario zurückkehren.

Die Inflation im verzögerten Übergang wird hingegen ab 2030 steigen und aufgrund der fortgesetzten Politik von höheren Steuern längerfristig über dem Basisszenario verharren. Aus diesem Grund dürfte sich ein ungeordneter Übergang auch inflationärer auswirken als eine allmähliche Verlagerung auf Netto-Null.

Zu beachten ist hierbei ferner, dass laut unserer Analyse die Auswirkungen auf das Preiswachstum nicht in allen Ländern homogen sein werden, wie in Abbildung 3 dargestellt. In Russland und Südafrika ist vom stärksten Preisdruck auszugehen, während der Anstieg der Inflation in Europa und in Grossbritannien bescheidener ausfallen wird.

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Die Auswirkungen der CO₂-Bepreisung weltweit werden sich nach verschiedenen länderspezifischen Faktoren richten. Zunächst einmal ist die Höhe der CO₂-Steuern ein entscheidender Faktor für die Änderungen bei den Energiepreisen. Schwellenländer bergen in der Regel ein grösseres Risiko als Industrieländer. Ein weiterer wichtiger Faktor für die länderspezifischen Unterschiede der inflationären Auswirkungen ist der Energiemix. Länder, die derzeit für ihre Energieerzeugung stärker auf fossile Brennstoffe angewiesen sind, unterliegen in einem stärkeren Masse CO₂-Steuern, da ein höherer Anteil fossiler Brennstoffe einen höheren Preiseffekt bedingt.

Wie sehr die Energiepreise steigen, hängt zudem stark vom Kohlenstoffgehalt der eingesetzten fossilen Brennstoffe ab. Das liegt daran, dass Kohle wesentlich kohlenstoffintensiver ist als Öl und insbesondere Gas. Somit werden die Kohlepreise bei gleichem Steuersatz stärker steigen als die Preise für die anderen fossilen Brennstoffe. Daher ist es wichtig, nicht nur die Menge an fossilen Brennstoffen zu betrachten, die bei der Energieerzeugung eingesetzt werden, sondern auch den Kohlenstoffgehalt der einzelnen Energiequellen. Unterdessen sind die Schwellenländer massgeblich auf stärker verschmutzende Energiequellen angewiesen. Südafrika steht dabei an der Spitze, da hier Kohle mehr als 60 % des Energiebedarfs des Landes deckt.

Knappheit an wichtigen Mineralien wird den Inflationsdruck verstärken

Saubere Energietechnologien, einschliesslich Windturbinen, Solarzellen und Elektrofahrzeuge, sind äusserst mineralienintensiv. So benötigt eine Offshore-Windanlage rund dreizehnmal mehr Bodenschätze als eine Gasanlage und ein Elektrofahrzeug sechsmal mehr Bodenschätze als ein herkömmliches Auto. Folglich wird die Nachfrage nach wichtigen Mineralien und Metallen in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen und das Angebot nicht mit der Nachfrage Schritt halten können.Der IWF verglich die prognostizierte Nachfrage und das Angebot für Metalle in den nächsten 30 Jahren unter der Annahme, dass das Netto-Null-Szenario für THG-Emissionen erreicht wird. Er stellte einen Versorgungsengpass von mehr als 50 % für Grafit, Kobalt, Nickel und Lithium fest (siehe Abbildung 4).

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird zu höheren Preisen für diese wichtigen Metalle führen und offenbart, wie krisenanfällig der Zugang zu ihnen sein wird. Zum Teil ist es diese Krisenanfälligkeit, die westliche Regierungen mittlerweile dazu veranlasst, direkt einzugreifen, um die Produktionskapazitäten für grüne Technologien zu erhöhen.

Eine neue Initiative zur Bepreisung von Kohlenstoff

Die grossen Unterschiede bei der Bepreisung von Kohlenstoff in den einzelnen Ländern lassen in Anbetracht von Bedenken hinsichtlich der CO₂-Leckage das Interesse an einer CO₂-Grenzsteuer steigen. CO₂-Leckage tritt auf, wenn inländische Emissionskontrollen Anreize schaffen, kohlenstoffintensive Produktionsprozesse in Länder mit weniger strengen Vorschriften auszulagern.

Die EU ist hier mit einer neuen Initiative namens Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) – also einen CO₂-Grenzausgleichmechanismus – führend.

Ende letzten Jahres erzielten die Mitglieder des Europäischen Parlaments eine Einigung mit den Landesregierungen in der EU, um das Risiko der Verlagerung von CO₂-Emissionen zu verringern. Der CBAM ist die erste Steuer der Welt, die auf den Kohlenstoffgehalt importierter Produkte abzielt. Er dürfte zu einer tragenden Säule der europäischen Klimapolitik werden. Mit dem CBAM soll sichergestellt werden, dass die Anstrengungen der EU zur Emissionsreduzierung nicht durch höhere Emissionen ausserhalb des Wirtschaftsblocks aufgrund von Produktionsverlagerungen in Länder negiert werden, in denen die CO₂-Preise niedriger sind als in der EU.

Der CBAM wird zunächst nur auf kohlenstoffintensive Industrien Anwendung finden, beispielsweise Eisen und Stahl, Düngemittel, Aluminium, Stromerzeugung und Zement. Er wird am 1. Oktober 2023 in Kraft treten. Allerdings ist eine Übergangsfrist vorgesehen: Solange diese gilt, beschränken sich die Pflichten des Importeurs lediglich auf die Berichterstattung. Ab 2026 müssen Importeure dann CBAM-Zertifikate auf der Grundlage des Emissionsgehalts der von ihnen eingeführten Warenmenge erwerben.

Unsere Analyse zeigt, dass sich die Auswirkungen des CBAM auf eine kleine Anzahl von EU-Handelspartnern beschränken werden. Konkret verdeutlich Abbildung 5, dass Russland und China aufgrund ihrer umfangreichen Eisen-, Stahl- und Aluminiumexporte von der Einführung des CBAM wahrscheinlich stark betroffen sein werden.

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Indien und China haben sich gegen den CBAM der EU ausgesprochen und damit die Hoffnung gedämpft, dass sich die politischen Entscheidungsträger in diesen Ländern zu Gesprächen über die Einführung eines CO₂-Preises angehalten sehen könnten. Stattdessen kritisieren sie den Mechanismus als kaum verhohlenen Protektionismus. Konkrete multilaterale Bemühungen um eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, wie z. B. in Form von CBAMs, dürften in einer neuen Weltordnung sicherlich ausgetestet werden.

CBAMs werden sich mit Nachdruck auf den internationalen Handel auswirken, da sie die Handelspartner dazu ermutigen könnten, ihre Produktionsprozesse zu dekarbonisieren. Sie dürften die politischen Entscheidungsträger dazu anhalten, die Einführung eines CO₂-Preises in Ländern in Erwägung zu ziehen, in denen es derzeit keinen Preismechanismus für inländische Emissionen gibt. Ein Beispiel hierfür wären die USA. Ausserdem könnten sie einen Anreiz für weitere Länder schaffen, eigene Kohlenstoffgrenzsteuern einzuführen. So haben Kanada und Grossbritannien bereits damit begonnen, derlei Abgaben in Betracht zu ziehen.

Die Umstellung auf grüne Technologien wird Investitionen in Innovationen steigern

All diese politischen Veränderungen dürften den Inflationsdruck erhöhen und das Wirtschaftswachstum bremsen. Es gibt jedoch noch einen weiteren Faktor, der dieses stagflationäre Ergebnis abfedern könnte. Investitionen in Technologie und Innovation sind ein wichtiger Baustein zur Realisierung des Netto-Null-Ziels. Beim Übergang auf Netto-Null geht es nicht nur um die Bepreisung von Kohlenstoff und strengere Klimaregelungen, sondern auch darum, dass im kommenden Jahrzehnt mehr in grüne Technologien investiert wird. Das hat damit zu tun, dass technologische Innovationen unerlässlich sind, um die zur Bekämpfung der globalen Erwärmung erforderliche Emissionsreduzierung zu erreichen.Investitionen in grüne Technologien nehmen schon jetzt zu. Die Investitionen in die nachhaltige Wertschöpfungskette haben sich seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens im Jahr 2015 verdoppelt und sind von 650 Mrd. USD-Dollar auf 1,3 Bio. US-Dollar im Jahr 2022 gestiegen. Am stärksten sind in diesem Zeitraum die Investitionen in die Elektrifizierung des Verkehrs gestiegen, und zwar um durchschnittlich 60 % pro Jahr. Erneuerbaren Energien kommt indes nach wie vor eine Führungsrolle zu, und sie ziehen jedes Jahr das meiste Kapital an.

Strukturwandel: Reaktion auf den Klimawandel nimmt an Fahrt auf

Künftig ist von höheren Investitionen in saubere Energie auszugehen, wovon die Aktivitäten in der gesamten Wertschöpfungskette weiter profitieren werden. Daraus dürften sich wiederum bedeutende Gelegenheiten für Anleger ergeben. Unternehmen in diesen speziellen Segmenten werden dieses Kapital zu nutzen wissen und damit neues Gewinn- und Cashflow-Wachstum generieren.

Unternehmen, die in Technologien wie Kohlenstoffbindung und -speicherung, neue Verkehrsinfrastrukturen, intelligente Stromnetze und nachhaltiger Wasserstoff investieren, dürften für Anleger attraktiv sein. Beim Übergang auf Netto-Null geht es nicht nur um die Abkehr von fossilen Brennstoffen, sondern auch um die Elektrifizierung der Energieversorgung und die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien, die eine effizientere Nutzung von Energie ermöglichen. Beispiele hierfür sind Wärmepumpen anstelle von Gaskesseln zur Beheizung von Gebäuden.

Hierzu bedarf es angebotsseitiger Anreize in Form von Subventionen für die Forschung und Entwicklung sowie Steuergutschriften, um die Innovationskosten zu senken. Sie sind für die Entwicklung dieser neuen Technologien entscheidend.

Wie bereits erwähnt, wird mehr Innovation für mehr Produktivität sorgen und die inflationären Effekte höherer CO₂-Preise teilweise wettmachen. Allerdings verweisen wir darauf, dass wir diese inflationsdämpfenden Vorteile des Investitionsanstiegs erst nach 2030 zu spüren bekommen werden.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass der technologische Wandel das Wirtschaftswachstum ankurbeln und gleichzeitig die Inflation langfristig senken wird. Schliesslich bedeutet eine erfolgreiche Einführung neuer Technologien, dass die CO₂-Steuern nicht so stark steigen müssen, wie es ansonsten der Fall wäre. Können beispielsweise mehr Emissionen am Ort der Entstehung gebunden und dann gespeichert werden, etwa durch Rückführung in stillgelegte Öl- und Gasfelder, sind erforderliche Verhaltensänderungen eventuell weniger extrem. Im Grunde genommen wird die Technologie die Grenzkosten der Emissionsreduzierung senken und gleichzeitig erhebliche Anlagegelegenheiten schaffen.

Zusammenfassung und Fazit

  • Die Reaktion auf den Klimawandel hat sich in den letzten Jahren beschleunigt. Wir sind jedoch der Meinung, dass noch weitere Aufgaben auf uns warten, da die Volkswirtschaften aufgrund der höheren Temperaturen unvermindert mit grösseren physischen Schäden konfrontiert sein werden.
  • Vor allem glauben wir, dass die CO₂-Preise in vielen Volkswirtschaften steigen werden, um die Kosten der Emissionen zu internalisieren. Auch andere politische Massnahmen, darunter CBAMs, werden die neue Weltordnung prägen.
  • Abgesehen von den optimistischsten Szenarien wird der Klimaschutz negative Auswirkungen auf das globale Wachstum haben, da rapide Fortschritte in punkto grüner Technologie die schlimmsten Produktivitätsverluste zwar bestenfalls kompensieren werden, hohe CO₂-Steuern die Produktion jedoch hemmen und die Wirtschaftsleistung insgesamt beeinträchtigen werden.
  • Höhere CO₂-Steuern werden die Energiepreise in die Höhe treiben und in allen grossen Volkswirtschaften zu einer höheren Inflation führen. Die „Fossilflation“, also der stärkere Preisanstieg aufgrund höherer CO₂-Preise, wird zu Beginn der Energiewende am höchsten sein, da die Volkswirtschaften weiterhin von fossilen Brennstoffen als Energiequelle abhängig sein werden. Inflationsdruck wird auch von der Knappheit wichtiger Mineralien und Metalle ausgehen.
  • Um die Energiewende zu bewerkstelligen, wollen sowohl die EU als auch die USA stärker lokalisierte Lieferketten für grüne Technologien fördern. Sie werden bei der umweltfreundlicheren Gestaltung ihrer Volkswirtschaften wohl zusammenzuarbeiten und die Stagflationsrisiken akzeptieren, die mit den für die Erreichung von Netto-Null erforderlichen Veränderungen einhergehen.
  • Innovation wird eine weitere wichtige Kraft sein, die die Weltwirtschaft aufmischen wird. Um eine markante Emissionsreduzierung zu erreichen, bedarf es technologischer Fortschritte. Die Regierungen dürften daher mehr Unterstützung für Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung bereitstellen.
  • Die Investitionen in die gesamte Wertschöpfungskette der nachhaltigen Energie sind seit dem Übereinkommen von Paris bereits stark gestiegen, und der Ausblick auf grössere Kapitalzuflüsse in diese Schlüsselsektoren gestaltet sich positiv. Unternehmen mit Spezialisierung auf die Energiewende, die dieses Kapital am besten einsetzen können, werden voraussichtlich erhebliche Eigenkapitalsteigerungen erzielen und damit für die Anleger immense Gelegenheiten bieten.

Weitere Informationen zu den Markt- und wirtschaftlichen Auswirkungen des Strukturwandels finden Sie unter: www.schroders.com/regimeshift.

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