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Welche Lehren können wir aus der Pandemie für COP26 ziehen?

Kann die Politik die Emissionslücke schliessen? Die Pandemie hat Anlass zu Optimismus gegeben, aber auch die Herausforderungen bei der Suche nach einer globalen Lösung aufgezeigt.

14.10.2021
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Authors

Keith Wade
Chefvolkswirt

Eine der wenigen positiven Auswirkungen der Covid-19-Pandemie war, dass sie das Interesse an der Umwelt gestärkt hat, indem sie den Menschen die Natur näher gebracht hat.

Das Office for National Statistics (ONS) in Grossbritannien meldet eine grössere Wertschätzung von Naturräumen wie Parks während der Pandemie und der Rolle, die sie für das psychische Wohlbefinden spielen können. Eine grössere Wertschätzung der Natur kann durchaus dazu beitragen, das Bewusstsein für Umweltthemen wie den Klimawandel zu stärken.

Die Pandemie hat aber auch gezeigt, welche Herausforderung der Klimakampf darstellt.

Trotz der Lockdowns in grossen Teilen der Welt gehen die Vereinten Nationen (UN) davon aus, dass die Emissionen im Jahr 2020 nur um 7 % gesunken sind. Das entspricht einer Reduktion der Erderwärmung von nur 0,01 °C.  

Wie gross ist die Emissionslücke?

Im Vorfeld des 26. Klimagipfels der Vereinten Nationen (COP26) ist die Emissionslücke in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Mit der Emissionslücke wird die Lücke zwischen den tatsächlich ausgestossenen Kohlenstoffdioxidemissionen und den im Pariser Abkommen von 2015 festgelegten Emissionszielen bezeichnet.

Die national festgelegten Beiträge (NDCs) zur Emissionsreduktion werden helfen, bleiben jedoch weit hinter den Massnahmen zurück, die erforderlich sind, um die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.

Prognosen der UN zufolge würden sich die Treibhausgasemissionen pro Jahr selbst bei einer tatsächlichen Umsetzung aller NDCs bei 53 Gigatonnen CO2-Äquivalent (GtCO2e) im Jahr 2030 stabilisieren (siehe Abb. 1).

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Um die Erwärmung im Einklang mit dem Pariser Abkommen auf 1,5 °C zu begrenzen, müssten die zukünftigen Emissionen bis 2030 auf 25 Gt CO2e pro Jahr sinken – was einer Lücke von 28 Gt CO2e gegenüber den derzeitigen Verpflichtungen entspricht. Um den Temperaturanstieg auf 2 °C zu begrenzen, müssen die jährlichen Emissionen auf 41 Gt CO2e gesenkt werden.

Anders gesagt: Wir müssen unsere Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um 25 % bis 50 % reduzieren. Und das ist natürlich erst der Anfang: Denn um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen, müssen weitere Fortschritte gemacht werden.

Leider sieht es danach aus, dass wir hinter den Zielen des Pariser Abkommens weit zurückbleiben.

Zweifelsohne wird die Wiederbelebung des Pariser Abkommens der rote Faden des Klimagipfels sein, auch wenn dies nicht offiziell so formuliert wird. Welche Massnahmen wären erforderlich, um dies zu erreichen?

Lehren aus der Pandemie

Die Pandemie gibt Anlass zu Optimismus.

Die erfolgreiche Entwicklung und Einführung eines Impfstoffs hat das Vertrauen in Wissenschaft und Regierungen gestärkt, Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Liesse sich mit derselben Kombination auch der Klimawandel lösen?

Eigentlich lässt sich diesem Gedanken nicht widersprechen. Es gibt jedoch zwei wesentliche Unterschiede, die die Lösung des Klimaproblems erschweren.

Erstens der fehlende Anreiz.  Die Pandemie war eine Krise, die eine unmittelbare Reaktion erforderte, als die Zahl der Todesopfer stieg. Der Klimawandel geht zwar mit enormen Disruptionen einher, ist aber ein eher allmählicher Prozess. Es bietet sich der Vergleich mit akuten Verletzungen und chronischen Krankheiten an. Unsere politischen Systeme eignen sich besser, um erstere zu lösen – von der Motivation der Politiker ganz zu schweigen.

Der zweite Faktor, der bei der Reaktion auf die Pandemie ebenfalls enttäuschte, ist die internationale Zusammenarbeit.

Dies klingt vielleicht merkwürdig angesichts der engen Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher Ebene zwischen internationalen Unternehmen und Wissenschaftlern. Die Zusammenarbeit auf Länderebene war jedoch weit weniger erfolgreich.

Trotz der Notwendigkeit, Covid-19 unter Kontrolle zu bringen, zögerten die Industrieländer, den ärmeren Ländern bei der Bereitstellung von Impfstoffen zu helfen, und räumten stattdessen ihrer einheimischen Bevölkerung Priorität ein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat diesen Nationalismus nachdrücklich kritisiert.

Zurück zum Klimawandel: Der Erfolg oder Misserfolg der COP26 wird davon abhängig sein, ob die Länder zu einer internationalen Zusammenarbeit fähig sind. 

Genauer gesagt reichen Verpflichtungen auf nationaler Ebene nicht aus, um die notwendigen Emissionsreduktionen zu erreichen. Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom William Nordhaus sagte kürzlich: „Länder haben starke Anreize, hohe und ehrgeizige Ziele zu verkünden ... und dann diese Ziele zu ignorieren und wie gewohnt ihren Geschäften nachzugehen.“

Mit anderen Worten, Länder würden lieber von den Aktionen anderer profitieren, wenn sie damit durchkommen.

Diejenigen, die dies in Bezug auf den Klimawandel tun, profitieren nicht nur von reduzierten globalen Emissionen, sondern verschaffen sich auch einen Wettbewerbsvorteil, da sie keine zusätzlichen Kosten oder Vorschriften für die Verbrennung von Kohlenstoff auferlegen müssen. Das Ergebnis ist, dass niemand bereit ist, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Die Situation ist sehr unbefriedigend.

Es ist denkbar, dass ein technologischer Durchbruch bei den erneuerbaren Energien die Emissionen reduziert und somit das Problem solcher „Trittbrettfahrer“ irrelevant macht. Die USA legen den Schwerpunkt im Klimakampf auf Technologie anstatt auf aufsichtsrechtliche Auflagen oder Steuern – vielleicht nicht überraschend für das Land, das den ersten Menschen auf den Mond brachte.

Technologie ist sicher Teil der Lösung. Aber die Vorstellung, dass andere Massnahmen nicht erforderlich sind, ist Wunschdenken. Neben Massnahmen zur Erhöhung der Kohlenstoffbindung durch Erhaltung, Wiederherstellung und verbesserte Umweltmanagementpraktiken (sogenannte natürliche Klimalösungen) sind erhebliche technologische Fortschritte – beispielsweise in Bereichen wie Kohlenstoffabscheidung, -speicherung und Smart Grids – erforderlich.

Darüber hinaus wird oft vergessen, dass das Apollo-Weltraumprogramm umgerechnet fast 200 Mrd. US-Dollar kostete, was den Einsatz sehr vieler öffentlicher Mittel darstellt. Ähnlich grosse öffentliche und private Investitionen werden erforderlich werden und sollten Teil der Lösung sein.

Zwei wichtige Schritte: Steuern und Compliance

Neben technologischen Fortschritten gibt es zwei Massnahmen, die die Aussichten auf das Erreichen der Emissionsziele erhöhen.

Die erste wäre die Einführung einer globalen CO2-Steuer. Dies wird manchmal auch als Kohlenstoffpreise bezeichnet und würde durch eine Steuer auf den Kohlenstoffgehalt fossiler Brennstoffe oder deren CO2-Emissionen umgesetzt.

Durch die Internalisierung der externen Kosten der Treibhausgasemissionen in die Energiepreise würden Kohlenstoffpreise den Haushalten einen Anreiz geben, ihren Energiemix zu ändern, und gleichzeitig ein Preissignal an die Unternehmen senden, in neue saubere Technologien zu investieren. Eine globale Steuerpolitik würde die Besorgnis mindern, dass sie Unternehmen auf den internationalen Märkten einen Wettbewerbsnachteil verschaffen würde.

Die Steuer würde zunächst den bestehenden NDCs entsprechen. Schätzungen des IWF zufolge würde sie bei rund 35 US-Dollar pro Tonne liegen. Um die Erderwärmung auf 2 °C zu begrenzen, wird kalkuliert, dass letztendlich eine Steuer von 75 US-Dollar pro Tonne erforderlich wäre. Derzeit beträgt die Steuer gerade mal 3 US-Dollar, der Unterschied ist also enorm. Manche Länder, insbesondere in Europa, weisen hohe CO2-Steuern auf, während es diese Steuer in anderen Ländern gar nicht gibt.

Zugegeben: Den Preismechanismus zur Verschiebung von Konsum- und Investitionsmustern zu nutzen, ist eine Lösung der Ökonomen und wäre unpopulär. Selbst wenn die Steuer schrittweise eingeführt wird, wäre es politisch schwierig, die Wählerschaft davon zu begeistern. Denken Sie an den jüngsten Aufschrei über die Entscheidung der britischen Regulierungsbehörde OFCOM, die Energiepreisobergrenzen und die Strompreise anzuheben. Höhere Energiekosten sind regressiv.

CO2-Steuern könnten durch andere Anreize verdaulicher gemacht werden. Beispielsweise durch die Investition der Steuereinnahmen in Subventionen für emissionsarmes Heizen und Transport oder direkte Rücküberweisungen an ärmere Bevölkerungsschichten. Ein solcher Ansatz würde auch dazu beitragen, Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Steuer auf die wirtschaftliche Erholung zu mildern.

Es bräuchte auch Zulagen und Entschädigungen für ärmere Länder, von denen viele die Verwendung billiger fossiler Brennstoffe als wesentlich für den Weg zu höheren Einkommensniveaus halten.

Dies ist jedoch wahrscheinlich nicht ausreichend, da weiterhin starke Anreize für Trittbrettfahrer bestehen, wenn die Steuer verzögert oder gar nicht eingeführt wird.

Daher ist eine zweite Massnahme erforderlich. Diese Massnahme wäre, die Compliance zu überwachen und Länder zu bestrafen, die nicht die erforderlichen Anpassungen bei der Emissionsreduktion vornehmen. Derzeit ist das Pariser Abkommen eine freiwillige, „zahnlose“ Vereinbarung, die die Einhaltung der Vereinbarung nicht durchsetzen kann.

Die Idee einer durchsetzbaren Vereinbarung mag autoritär klingen. Es gibt hierfür aber erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit. Ein Beispiel ist der internationale Handel. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat Strafen gegen Länder verhängt, die Vereinbarungen missachten oder Produkte auf Überseemärkten abladen.

COP-Steuern und ein durchsetzbares Abkommen wären grossartige Ergebnisse der COP26 – aber wie wahrscheinlich ist ein solcher Ausgang?

Wir haben bereits die politischen Schwierigkeiten mit der ersten Massnahme dargelegt. Im gegenwärtigen Umfeld ist eine durchsetzbare Vereinbarung ebenso unwahrscheinlich.

Die WTO entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Zeit der US-Hegemonie und einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit. Heute ist die Welt zunehmend bipolar, wobei China mit den USA um Einfluss wetteifert. Auch die WTO selbst hat an Einfluss verloren, da die Länder ihre Unterstützung reduziert haben. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Vereinbarung heutzutage möglich wäre.

Diese Ideen bleiben jedoch im Hintergrund bestehen. Die Frustration über fehlende Fortschritte und eine immer grösser werdende Kluft bei den Klimaemissionen führen dazu, dass der Druck steigt Einigen dieser Frustrationen können durchaus auf der COP26 Luft gemacht werden.

Das Risiko einer Splittergruppe

Ein mögliches Ergebnis ist daher, dass sich eine Gruppe von Ländern abspaltet und eine eigene Vereinbarung trifft, um ihre Verpflichtungen zur Reduzierung von Emissionen einzuhalten.  

Um den Nachteil der höheren Energiekosten gegenüber ihren Konkurrenten zu überwinden, könnten sie eine Einfuhrsteuer für Produkte mit höherem Kohlenstoffgehalt einführen. Ein solches Ergebnis mag fantasievoll klingen, aber tatsächlich gibt es solche Verfahren bereits. Die EU hat vor Kurzem Vorschläge für einen Mechanismus zur Anpassung der CO2-Grenzen veröffentlicht, der genau hier ansetzt, indem er Zölle auf kohlenstoffintensive Importe auferlegt, um die inländischen Sektoren bei steigenden Energiesteuern zu schützen. China und viele Schwellenländer wären als kohlenstoffintensive Volkswirtschaften mit hohen Exporten am stärksten betroffen. 

Ein globales Abkommen wäre zweifelsohne die bessere Lösung. Aber wie die Pandemie gezeigt hat und weiter zeigt, sollten wir auf Spannungen und Brüche zwischen den Parteien, insbesondere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, und ein weniger kooperatives Ergebnis der COP26 gefasst sein.

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