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Wir alle werden mit den Folgen der Handlungen Russlands zu leben haben

Neben der menschlichen Tragödie in der Ukraine wird Russlands Vorgehen auch zu wirtschaftlichen Problemen für den Rest der Welt führen.

29.03.2022
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Authors

Caspar Rock
Chief Investment Officer

Russlands Invasion in der Ukraine ist zu einer humanitären Tragödie mit Tausenden von Todesopfern, mehr als drei Millionen Flüchtlingen und vielen weiteren zerstörten Leben ausgeartet. Leider wird das Leid sich noch weiter ausbreiten. Russen, die nicht an der Invasion des Landes beteiligt waren, mussten mitansehen, wie sich ihr Leben in den vergangenen Wochen von Grund auf veränderte. Und trotz der Tatsache, dass Russland und die Ukraine nur einen kleinen Anteil an der globalen Wirtschaft haben, haben sich die Aussichten für die Weltwirtschaft als Folge des enormen Anstiegs der Energie- und Lebensmittelpreise im Grenzkostenbereich verschlechtert.

Das Unglück ist umso grösser, als es gerade zu einer Zeit seinen Anfang nahm, da sich die Volkswirtschaften von den Schäden der Pandemie zu erholen begannen. Leider dürften die Folgen dieser Krise erneut sowohl für die weniger Wohlhabenden in reichen Ländern als auch für die Menschen in den weniger entwickelten und ärmeren Ländern am grössten sein. Beide geben einen grösseren Teil ihres Einkommens für Treibstoff und Lebensmittel aus als die Wohlhabenderen.

In wirtschaftlicher Hinsicht könnte der Einmarsch in die Ukraine das globale Wachstum erheblich dämpfen und einige Länder eventuell sogar in eine Rezession abrutschen lassen. Im Gegensatz dazu dürfte die bereits hohe Inflation weiter steigen. Die Kombination aus hoher Inflation und niedrigem oder negativem Wachstum wird als „Stagflation“ bezeichnet – und ist tendenziell ein schwieriges Umfeld für die Finanzmärkte. In diesem Szenario geraten die Unternehmensgewinne unter Druck, da die Kosten schneller steigen als die Einnahmen. Auch die Anleihemärkte haben bei solchen Bedingungen zu kämpfen, da die Anleger höhere Renditen als Ausgleich für die Inflation einfordern. Es ist immer noch möglich, dass sich dank diplomatischer Bemühungen ein solches Ergebnis vermeiden oder abmildern lässt, aber die Risiken nehmen zu.

Die Wirtschaftsexperten von Schroders haben kürzlich ihre Prognosen für das globale Wachstum in diesem Jahr auf 3,7 % gesenkt, dies basierend auf der frühen Annahme, dass Russland in der Lage sein würde, in der Ukraine schnell einen Regimewechsel herbeizuführen. Da dies nicht geschehen ist und die Kämpfe noch eskalieren könnten, sind weitere Herabstufungen in unserem Wirtschaftsausblick durchaus möglich.

Der aktuelle Ausblick unterscheidet sich stark von unseren vor wenigen Monaten gehegten Erwartungen, als die Welt scheinbar auf ein weiteres Jahr mit überdurchschnittlichem Wachstum zusteuerte. Mittlerweile ist wahrscheinlicher, dass dieses eher dem lauen Durchschnitt des Jahrzehnts vor der Pandemie entspricht.

Energie, Metalle und Lebensmittel werden immer teurer

Die Preise für die wichtigsten Rohstoffe haben sich seit 2015 ungefähr verdoppelt (Preis auf 100 umbasiert)

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Quelle: Refinitiv Datastream

Teuerung der Energie- und Lebensmittelpreise kann dazu führen, dass sich die Krise ausbreitet

Russland ist ein weltweit bedeutender Lieferant von Energie und Lebensmitteln. Den Ökonomen bei Schroders zufolge stellt das Land 11 % der Ölförderung, 17 % des Gases und 11 % der Weizenproduktion. Bei eng ausbalancierten Märkten, wie dies bei vielen Rohstoffen vor der Invasion gegeben war, können Versorgungsunterbrechungen in diesem Ausmass dazu führen, dass die Preise in die Höhe schiessen. Öl und Weizen sind seit Ende 2021 im Preis jeweils um mehr als 50 % gestiegen. Wesentlich dramatischer war unterdessen der Anstieg der Gaspreise in vielen europäischen Märkten.

Die bisherigen Preisbewegungen sind in erster Linie auf Rohstoffkäufer zurückzuführen, die Lagerbestände aufbauen, das Angebot diversifizieren und das rechtliche sowie das Reputationsrisiko im Umgang mit Russland vermeiden möchten – anstatt auf tatsächliche Versorgungsunterbrechungen. Ab Mitte März haben die USA, Grossbritannien und Kanada allesamt Verbote für russische Energieimporte angekündigt – aber keines dieser Länder ist wirklich von Russland abhängig. Ganz anders sieht es mit Blick auf Europa aus, wo etwa Deutschland und Italien fast die Hälfte ihres Gasbedarfs durch Importe aus Russland decken. Bundeskanzler Olaf Scholz hat eingeräumt, dass ein europäisches Verbot derzeit nicht machbar ist. Es besteht jedoch immer noch die Möglichkeit, dass Russland seine Drohung wahr macht, die Versorgung des Kontinents zu drosseln – was die Energiepreise noch weiter in die Höhe schiessen lassen würde.

Angesichts der Ungewissheit dürften die Kosten für Öl und Gas auf absehbare Zeit hoch und volatil bleiben. Die jüngsten Anstiege bedeuten, dass die Energiekosten als Prozentsatz des globalen BIP wahrscheinlich auf einen mittleren bis hohen einstelligen Prozentsatz steigen werden – gegenüber lediglich 2 % im April 2020, der tiefste Stand seit mehreren Jahrzehnten. Dieser Anstieg ist der schnellste seit den 1970er Jahren, als Saudi-Arabien und andere Länder die Ölversorgung als Reaktion auf Konflikte in der Nahostregion einschränkten.

Höhere Lebensmittelpreise stellen eine zusätzliche Herausforderung dar, insbesondere für die Schwellenländer. Weizen und andere Agrarrohstoffe wurden bereits vor der Invasion aufgrund mehrerer schlechter Ernten und geringerer Investitionen in die Produktion teurer. Länder wie Ägypten und die Türkei, zwei der grössten Importeure von russischem und ukrainischem Weizen, sind besonders gefährdet. Weizen wird in Ägypten von der Regierung subventioniert, und der Preisanstieg beginnt, die Gläubiger des Landes zu beunruhigen. Hohe Lebensmittelpreise haben in der Vergangenheit zu politischen Unruhen in der Region geführt – und waren ein wesentlicher Faktor für den Arabischen Frühling 2011.

Es gibt einige Gründe für Optimismus, insbesondere wenn sich der Preisanstieg als nur kurzlebig herausstellen sollte. In den Industrieländern werden die während der Pandemie angehäuften Ersparnisse den Verbrauchern ein gewisses Polster bieten. Ferner gilt es zu berücksichtigen, dass das Öl den Volkswirtschaften vor dem Ölpreiscrash von 2014 bei mehreren Gelegenheiten mehr als 100 US-Dollar pro Barrel kostete. In den vergangenen Jahrzehnten ist die globale Produktion weniger „energieintensiv“ geworden, da sich mehr wirtschaftliche Aktivitäten online oder in den Dienstleistungssektor verlagert haben. Darüber hinaus könnte der Energiemarkt durch die Rückkehr des iranischen Öls auf die internationalen Märkte entlastet werden. Das Land hat über 100 Millionen Barrel Öl gelagert. Laut einer aktuellen Prognose der Internationalen Energieagentur steht dies einem möglichen Verlust der russischen Produktion von drei Millionen Barrel pro Tag gegenüber.

Die finanziellen Risiken nehmen zu

Wir hatten gehofft, dass die Inflation im zweiten Quartal des Jahres allmählich nachlassen würde, aber dies erscheint jetzt weniger wahrscheinlich. Die Gesamtinflation (Headline-Rate) – welche die Lebensmittel- und Energiepreise widerspiegelt – wird mit ziemlicher Sicherheit noch eine Zeit lang nach oben tendieren. Gleichzeitig könnte sich die zugrunde liegende Nachfrage abschwächen, da Verbraucher und Unternehmen mit höheren Kosten konfrontiert sind. Dies könnte durchaus bedeuten, dass die Zentralbanken die Zinsen langsamer anheben, als sie – und die Märkte – eigentlich erwartet hatten. Trotzdem gehen wir davon aus, dass sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Bank of England ihr Engagement zur Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhungen in der ersten Jahreshälfte signalisieren werden. Sie könnten dann abwarten, ob die Rohstoffpreise die Aufgabe erfüllen, die Wirtschaft für sie abzukühlen.

Die Anleger sind darüber hinaus zunehmend besorgt über die Verluste, die unweigerlich entstehen, wenn russische Unternehmen und Banken aus der Weltwirtschaft ausgeschlossen werden. Zahlreiche multinationale Konzerne haben inzwischen ihren Betrieb in Russland eingestellt, oft zu einem hohen Preis, zumal viele beschlossen haben, ihre Mitarbeitenden vorerst weiter zu bezahlen. Beispielsweise erwirtschaftet McDonald's in Russland und der Ukraine nicht unerhebliche 9 % seines Umsatzes. Es wird auch zusätzliche Lieferkettenprobleme geben, insbesondere angesichts der Rolle der Ukraine als Schlüssellieferant von Neon, einem Gas, das bei der Herstellung von Halbleitern verwendet wird. Unterdessen verbuchen Banken Verluste in Milliardenhöhe, da sie sich darauf vorbereiten, den Wert von Krediten und Tochterunternehmen in Russland abzuschreiben. Diese Zahlen könnten angesichts der Warnung der Rating-Agentur Fitch, dass Moskaus Reaktion auf Sanktionen „die selektive Nichtzahlung seiner Verpflichtungen aus Staatsschulden“ beinhalten könnte, noch zunehmen. Das könnte wiederum dazu führen, dass die Kapitalkosten weltweit steigen – was die Bereitschaft der Banken zur Kreditvergabe in anderen Bereichen verringert und das Wachstum weiter dämpft.

Erste Anzeichen von Diplomatie

Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels gibt es einige Anzeichen dafür, dass beide Seiten – sowohl die russische als auch die ukrainische Führung – zu Verhandlungen bereit sein könnten. Ein mögliches Abkommen könnte die Anerkennung der Krim als russisches Staatsgebiet, die Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk und ein gewisses Bekenntnis zur Neutralität im Rest der Ukraine beinhalten. Es ist jedoch alles andere als klar, dass eine Einigung erzielt werden kann, und sie wird sich möglicherweise erst nach einer weiteren Eskalation ergeben. Ebenfalls sehr ungewiss ist, ob oder wann westliche Sanktionen aufgehoben werden. Leider wird immer deutlicher, dass die russische Invasion in der Ukraine das Potenzial hat, in den kommenden Monaten und sogar Jahren zu einem erheblichen Hemmschuh für die Weltwirtschaft zu werden.

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