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Das Undenkbare denken: Was, wenn die USA zahlungsunfähig werden?

Zwar ist das Risiko, dass die USA ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können, relativ gering, jedoch ist es höher als jemals zuvor. Zumindest sollten die Anleger auf ein erbittertes Gezänk um die Schuldengrenze gefasst sein, das Marktvolatilität und wirtschaftliche Belastungen verursachen könnte.

20.04.2023
Treasury

Authors

George Brown
Senior US Economist

Die USA hat am 19. Januar 2023 ihre gesetzlich festgeschriebene Schuldengrenze von 31,4 Billionen US-Dollar erreicht. Deshalb hat das US-Finanzministerium zu buchhalterischen Tricks gegriffen, damit der Staat seinen Verpflichtungen weiter nachkommen kann. Wenn aber die Schuldenobergrenze weder angehoben noch bis zu einem noch unbekannten „Tag X“ später in diesem Jahr ausgesetzt wird, werden diese Notlösungen erschöpft sein. Dann können die USA keine weiteren Kredite aufnehmen und sind technisch gesehen außerstande, ihre Schulden zu bedienen.

Das Land steht keineswegs zum ersten Mal an der Schwelle der Zahlungsunfähigkeit. Tatsächlich wurde die Schuldenobergrenze seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 100-mal geändert. Warum also sollte das dieses Mal anders sein? Zumindest in einem sind sich Demokraten und Republikaner einig: nämlich, dass das Vertrauen in die USA und ihre Kreditwürdigkeit unbedingt aufrechterhalten werden müssen.

Zweifellos wird jede Seite bis kurz vor dem Tag X ihre altbekannten Spielchen spielen, in der Hoffnung, dass die jeweils andere Partei zuerst nachgibt. Die Republikaner möchten tiefgreifende Ausgabenkürzungen durchsetzen, während Präsident Biden die Steuern für Unternehmensgewinne und Gutverdiener erhöhen will. Wenn es so abläuft wie schon in der Vergangenheit, werden beide Parteien den Konflikt auf die Spitze treiben, bis es schließlich in allerletzter Minute zu einer Einigung kommt.

Bei einer solchen Taktik besteht immer das Risiko, dass der Schuss von hinten losgeht und schließlich die Zahlungsfähigkeit ungewollt eintritt. Und ein solches Ereignis ist heute wahrscheinlicher als in früheren Jahren. Zugeständnisse des Sprechers des US-Repräsentantenhauses begrenzen die Zahl der legislativen Lösungen. Und die stetig zunehmende politische Polarisierung verkompliziert die Konsensfindung.

In diesem Artikel beschäftigen wir uns damit, welche konkreten Folgen ein Zahlungsausfall der USA hätte – insbesondere für die Märkte und die Weltwirtschaft.

Das Undenkbare denken: Was, wenn die USA zahlungsunfähig werden?

Weshalb ein Ausfall nicht ausgeschlossen werden kann

Der Kongress ist seit den Zwischenwahlen gespalten. Jedoch haben die Republikaner nur eine knappe Mehrheit von fünf Sitzen im Repräsentantenhaus. Rund 20 Ultrakonservative nutzen diese Situation während der Bewerbungsrede von Kevin McCarthy für das Amt des Sprechers aus und unterstützten ihn erst bei seinem 15. Anlauf, nachdem er zahlreiche Zugeständnisse gemacht hatte.

Eines der Zugeständnisse war dabei die Wiedereinführung des vorherigen Verfahrens zur Beantragung eines Misstrauensvotums gegen den Sprecher. Nun kann ein einziger Abgeordneter eine Abstimmung darüber erzwingen, ob der Sprecher des Repräsentantenhauses seines Amtes enthoben werden soll. Dadurch werden die Änderungen aus dem Jahr 2019 rückgängig gemacht, nach denen für solch eine Abstimmung eine Mehrheit einer der Parteien erforderlich war. Somit kann nun also eine Minderheit von fiskalischen Hardlinern den Sprecher bei Verhandlungen über die Schuldenobergrenze in die Schranken weisen.In ihrer Eröffnungssalve haben die 45 ultrarechten Abgeordneten (der sogenannte Freedom Caucus) gefordert, die Ausgaben für die kommenden zehn Jahre auf das Niveau von 2022 zu begrenzen. Bei einer solchen ideologischen Hardlinerposition ist der Konflikt mit den Demokraten und den moderateren Republikanern vorprogrammiert. Sofern kein Mittelweg gefunden werden kann, besteht das Risiko, dass die Schuldenobergrenze nicht angehoben wird.

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Spielraum für Notlösungen ist begrenzt

Sollte eine Zahlungsunfähigkeit der USA drohen, könnten einige moderate Republikaner bereit sein, sich gegen die parteieigene Führung zu stellen und mit den Demokraten zusammen für eine „saubere“ Anhebung der Schuldenobergrenze zu stimmen. Neben der Tatsache, dass dadurch das Problem nur aufgeschoben wäre, stehen einem solchen Vorgehen auch etliche gesetzliche Hürden entgegen.

Zum einen hat sich der Sprecher dazu verpflichtet, die sogenannte Hastert Rule einzuhalten, nach der ein Gesetzesentwurf nur dann zur Abstimmung gebracht wird, „wenn die Mehrheit der Mehrheit“ ihn unterstützt. Für eine Rebellion wären somit mindestens 112 Republikaner erforderlich. Eine mögliche Notlösung könnte zudem ein Entlastungsantrag sein, sodass im Repräsentantenhaus über einen Gesetzesentwurf abgestimmt werden muss, wenn dieser Antrag von einer Mehrheit des Repräsentantenhauses unterzeichnet wird.

Allerdings ist dies ein langsames und holpriges Verfahren. Der Gesetzesentwurf muss 30 Werktage lang im Ausschuss erörtert worden sein und dann noch weitere sieben Tage auf der Tagesordnung des Repräsentantenhauses gestanden haben. Wenn aber der Sprecher und/oder Mitglieder des Ausschusses für die Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses gegen den Gesetzesentwurf stimmen, kann er nur an den Entlastungstagen behandelt werden. Davon gibt es nur zwei je Monat, wenn das Repräsentantenhaus tagt.

Wenn alles andere fehlschlägt, könnten unorthodoxe Optionen in Betracht gezogen werden. Das Finanzministerium könnte eine Platinmünze im Wert von einer Billion US-Dollar prägen und sie bei der US-Notenbank Fed gegen Bargeld einzahlen. Der Präsident könnte sich auch auf den 14. Zusatzartikel berufen, um die Schuldenobergrenze im Alleingang anzuheben. Beide Optionen sind unwahrscheinlich. Denn eine derartige Untergrabung der Legislative würde wohl die Anleger verunsichern.

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Ein Zahlungsausfall der USA hätte weltweite Folgen

Angenommen, zum Tag X würde die Schuldenobergrenze nicht angehoben, sodass die Kuponzahlungen nicht geleistet und die Staatsanleihen nicht mehr bedient werden: Uncle Sam wäre zahlungsunfähig. Zwar ist es in der Vergangenheit bereits aus technischen Gründen zu Zahlungsverzögerungen gekommen, wie 1979 bei der Panne bei der Scheckbearbeitung. Aber ein wirklicher Zahlungsausfall wäre ein noch nie da gewesenes Ereignis mit weitreichenden Konsequenzen.

In unserem jüngsten Ausblick beschreiben wir ein Risikoszenario, in dem sich US-Politiker erstmals offen zu einem Zahlungsausfall nach einem Scheitern der Gespräche äußern. Es kommt zu einem Abverkauf bei Staatsanleihen, der dann auf anfällige Anleihemärkte übergreift und die Staaten weltweit zu Ausgabenkürzungen zwingt. Die abrupte Verschärfung der Finanzbedingungen ist besonders für die Schwellenländer eine schlechte Nachricht, da diese von Kapitalströmen abhängen.

Die Wirtschaftstätigkeit wird zudem über andere Kanäle gedämpft. Neben höheren Refinanzierungskosten schwächt die Marktvolatilität auch das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen. In der Folge werden die Investitionspläne zurückgestellt und die Haushalte bilden vorsorglich Ersparnisse. Insbesondere in den USA betrifft der Shutdown auch die Ausgaben und Aktivitäten auf Bundesebene.

Die Zentralbanken werden zum Handeln gedrängt. Die Fed nimmt eine quantitative Straffung vor und senkt die Zinsen. Die Notenbanken in den anderen Industrieländern tun es ihr gleich. Die Zentralbanken in den Schwellenländern sind hingegen gezwungen, die Leitzinsen auf einem hohen Niveau zu belassen und ihre Währungen zu verteidigen. Einige müssen dabei enorme Erhöhungen vornehmen, um Kapitalabflüsse zu verhindern.

Schließlich einigt sich der Kongress darauf, die Schuldenobergrenze anzuheben. Aber der Schaden ist bereits eingetreten. Das globale Wachstum hat sich deutlich verlangsamt. In diesem Szenario liegt es 0,7 % unter unseren Basisprognosen für die Jahre 2023 und 2024 zusammen. Wenn es etwas Gutes an diesem Szenario gibt, dann, dass eine schwächere Nachfrage wohl zu einer Verringerung der Inflation um rund 0,5 % im Vergleich zu unserer zentralen Prognose für denselben Zeitraum führt.

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Fazit: Auf das Gelingen hoffen, aber auf ein Scheitern vorbereitet sein

Während die Gefahren für einen Zahlungsausfall als Druckmittel in den Verhandlungen um die Schuldenobergrenze verwendet werden, ist es unwahrscheinlich, dass selbst die fiskalisch konservativsten Republikaner einen Zahlungsausfall der USA zulassen. Dies ist quasi die Geisel, die nicht erschossen werden kann. Allerdings könnte ein „unbeabsichtigter“ Zahlungsausfall eintreten, wenn das parteipolitische Gezänk und/oder die Dauer der politischen Prozesse falsch eingeschätzt werden.

Erhöht wird diese Möglichkeit noch dadurch, dass nicht sicher ist, wann mit dem Tag X zu rechnen ist. Das Budgetbüro des Kongresses geht davon aus, dass dieser in den Zeitraum zwischen Juli und September fallen sollte. Aber auch ein früheres Datum ist möglich, wenn die im April eingereichten Steuererklärungen die Erwartungen enttäuschen. Zudem deutet der fehlende Knick in der Treasury-Kurve darauf hin, dass auch die Anleger sich nicht sicher sind, wann es so weit sein wird.

Selbst wenn ein Zahlungsausfall abgewendet wird, könnten die Märkte unruhig werden. Im Jahr 2011 waren die Anleger nervös, als der Kongress monatelang über die Schuldenobergrenze stritt, bevor sie nur zwei Tage vor einem Shutdown angehoben wurde. Kurz danach verloren die USA zum ersten Mal ihr erstklassiges AAA-Rating. Die anschließend einsetzende Risikoaversion führte zu einer Abwertung des US-Dollars, einem Rückgang des S&P 500 und einer Ausweitung der Kreditspreads.

Angesichts des Risikos einer sich wiederholenden Krise sollten die Anleger über ihre Portfoliopositionen nachdenken. Kapital in T-Bills zu parken mag angesichts der aktuellen Renditen verlockend klingen. Allerdings sind T-Bills bisher immer unter Druck geraten, je näher eine mögliche Zahlungsunfähigkeit rückte. Die Anleger sollten stattdessen eine Übergewichtung von Edelmetallen wie auch von Währungen und Anleihen außerhalb der USA, die als sichere Häfen gelten, in Betracht ziehen.

Diese dürften zulegen, wenn die Sorgen über einen möglichen Zahlungsausfall der USA hochkochen. Dann könnten einige Anleger Gewinne mitnehmen und taktische Chancen nutzen. Beispielsweise wären T-Bills, die kurz nach dem Tag X fällig werden, wahrscheinlich ungeliebt, wie schon 2011 und 2013 der Fall. Sie stellen somit eine attraktive Möglichkeit für diejenigen dar, die darauf setzen, dass der Kongress die Schuldenobergrenze rechtzeitig anhebt.

Allerdings dürfte jeder Kompromiss zwischen den Republikanern und den Demokraten mit Ausgabenkürzungen und sogar möglichen Steuererhöhungen einhergehen. Beides würde die Rezession verschärften, die wir später in diesem Jahr erwarten. Dennoch wäre das ein geringer Preis, wenn dadurch der umfangreiche und langfristige Schaden abgewendet werden kann, den ein kompletter Zahlungsausfall der USA anrichten würde.

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