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Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

Der Inflationsdruck bedeutet, dass die Geldpolitik straffer und restriktiver sein muss, als es zuletzt der Fall war. Längerfristig höhere Zinsen werden ein wichtiges Merkmal einer neuen Geldpolitik und eines neuen Marktverhaltens sein.

31.03.2023
Regime shift: central banks will prioritise inflation over growth
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Azad Zangana
Volkswirt

Das Jahr 2022 war ein richtungsweisendes Jahr für die Geldpolitik. Eine Zeit lang führten die Zentralbanken die steigende Gesamtinflation auf verschiedene Schocks zurück: Lieferengpässe im Zuge der Pandemie sowie höhere Lebensmittel- und Energiepreise aufgrund des Krieges in der Ukraine. Diese Faktoren wurden als vorübergehend angesehen. Die Entscheidungsträger waren daher der Ansicht, dass eine Straffung der geldpolitischen Zügel keine große Wirkung zeigen würde. Es wurde jedoch deutlich, dass diese vorübergehenden Kostenerhöhungen Druck an anderen Stellen ausgelöst und sich auf weitere Bereiche der Wirtschaft ausgebreitet hatten. Plötzlich stieg die Inflation im Dienstleistungssektor deutlich, wozu vor allem das Lohnwachstum beitrug.

Die Zentralbanken erkannten an, dass man die externen Schocks nicht länger isoliert betrachten konnte. Diese Schocks, so erkannten sie, mussten im Kontext größerer Veränderungen in der globalen Wirtschaft gesehen werden, die über einen sehr viel längeren Zeitraum eingetreten waren. Die Umstände der Vergangenheit, die dazu beigetragen hatten, die Löhne, die Kosten für Importwaren und die Energiepreise einzudämmen, waren in Zukunft möglicherweise nicht mehr gegeben. Die Entscheidungsträger akzeptierten nach und nach, dass wir uns in einer neuen Ära befinden, die durch Engpässe auf der Angebotsseite und häufigere Preiserhöhungen gekennzeichnet ist.

Die Pandemie hatte eindeutig tiefgreifende Folgen für die Arbeitsmärkte, insbesondere dort, wo die Regierungen nicht eingriffen, um Arbeitsplätze zu schützen. Ein Beispiel dafür sind die USA, wo die Arbeitslosenquote von 3,5 % im Februar 2020 innerhalb von nur zwei Monaten auf 14,7 % anstieg. Als sich die Volkswirtschaften wieder öffneten, machten es die großzügigen staatlichen Hilfen und die Veränderungen am Arbeitsmarkt sehr schwierig für Unternehmen, ihre Mitarbeiter wieder einzustellen und auf die aufgestaute Nachfrage zu reagieren. Dadurch kehrte die Arbeitslosenquote Mitte 2022 wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurück und das Lohnwachstum legte zu.

Das durchschnittliche Wachstum der Stundenlöhne in der Privatwirtschaft erreichte im Jahr 2022 mit 5,3 % den höchsten Wert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2008. Für das produzierende Gewerbe wird das durchschnittliche Wachstum der Stundenlöhne bereits seit längerem ermittelt: Mit 6,4 % erreichte es 2021 den höchsten Wert seit 1981.

Mehr Langzeitkrankheiten bedeuten, dass Arbeitskräftemangel und Lohndruck wahrscheinlich anhalten werden

Fehlende Arbeitskräfte verschlimmern die Lage jedoch. Seit der Pandemie ist die Erwerbsquote sowohl in den USA als auch in Großbritannien gesunken. In Großbritannien sind rund 650.000 Arbeitnehmer aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, vor allem aufgrund von Langzeiterkrankungen. Optimisten glauben, dass einige dieser Arbeitnehmer zurückkehren werden. Mit dem Lauf der Zeit wird das jedoch immer unwahrscheinlicher.

Im Dezember 2022 gab es in den USA 11 Millionen unbesetzte Stellen, aber nur 5,7 Millionen Arbeitslose (Abbildung 1). Das bedeutet, dass auf jeden Arbeitslosen 1,9 unbesetzte Stellen kamen. Selbst wenn der Arbeitsmarkt für jede arbeitslose Person den richtigen Job am richtigen Ort hätte, gäbe es immer noch einen erheblichen Personalmangel. Nach den Grundregeln der Ökonomie erhöhen sich die Preise – oder in diesem Fall die Löhne –, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot. Dies ist einer der Gründe dafür, dass Personen, die im letzten Jahr eine neue Stelle angetreten haben, deutlich höhere Gehaltssteigerungen erzielten als diejenigen, die länger als ein Jahr an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz geblieben sind. Unternehmen müssen sich im Wettbewerb um Arbeitskräfte gegenseitig überbieten. Wir verweisen jedoch darauf, dass der Lohnzuwachs für beide Gruppen derzeit erhöht ist (Abbildung 2).

Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

Der Arbeitskräftemangel hat nicht nur dazu geführt, dass Arbeitnehmer höhere Löhne verlangen, sondern auch Unternehmen davon abgehalten, Mitarbeitende zu entlassen, selbst wenn sie ihre Kosten senken müssen. Der allgemeine Lohnzuwachs bedeutet, dass Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen, diese Stellen aber wieder besetzen wollen, erheblich höhere Löhne zahlen müssten. Deshalb könnte es sinnvoll sein, Mitarbeitende zu halten.

Dieses „Horten“ von Personal verstärkt die robuste Lage am Arbeitsmarkt noch, was wiederum die Nachfrage ankurbelt, wodurch die Preise und die Inflation weiter steigen. Vielleicht werden Arbeitskräfte nur vorübergehend gehortet. Der „Große Ruhestand“ und mehr Langzeiterkrankungen bedeuten jedoch, dass Arbeitskräftemangel und Lohndruck wahrscheinlich anhalten werden. Das ist ein weiteres Element des Strukturwandels.

Als sich die Inflation weiter ausbreitete, wuchs auch die Sorge, dass sich die späten 1970er und frühen 1980er Jahre wiederholen könnten, als die Inflation in großen Teilen der Industrieländer außer Kontrolle geriet. Ähnlich wie heute waren auch die 1970er und frühen 1980er Jahre von Energiekrisen geprägt, die viele der nachfolgenden Probleme auslösten. Es war jedoch das Ungleichgewicht der Inflationserwartungen, das dazu führte, dass die Arbeitnehmer deutlich höhere Löhne forderten und diese auch erhielten, selbst nachdem die Inflation wieder fiel. Es folgte eine Lohn-Preis-Spirale, da die Kosten dieser Lohnerhöhungen in Form von Preissteigerungen an die Verbraucher weitergegeben werden mussten. Der Kreislauf setzte sich fort. Es waren mehrere Straffungen der Geldpolitik und sogar zweistellige Zinssätze erforderlich, bevor die Preise wieder fielen und sich auf ein normaleres Niveau einpendelten. Es gibt viele Parallelen zwischen dieser jüngsten Inflation und den Inflationen der Vergangenheit. Der historische Vergleich der Realzinsen in den USA, Großbritannien und Deutschland ist erstaunlich. Aufgrund der hohen Inflation und der niedrigen Nominalzinsen waren die Realzinsen nicht nur sehr negativ, sondern in Deutschland und den USA sogar noch negativer als in Zeiten hoher Inflation. Eine Ausnahme bildet Großbritannien, wo die Realzinsen immer noch in etwa auf dem Niveau der 1970er und 1980er Jahre liegen (Abbildung 3).

Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

Die Zentralbanken wollen ihre Fehler nicht wiederholen. Deshalb haben sie im vergangenen Jahr reagiert, indem sie zunächst die quantitative Lockerung eingestellt und dann sehr schnell die Zinsen erhöht haben. Der US-Leitzins stieg 2022 um das Neunfache auf 4,5 % (oberes Ende des Zielkorridors) – ein atemberaubendes Tempo der Zinserhöhungen. Die US-Notenbank Fed, die Europäische Zentralbank und die Bank of England erhöhten die Zinsen schrittweise um 75 Basispunkte, was zeigte, wie dringend eine Straffung der Geldpolitik erforderlich war. Für die Fed waren dies die größten Zinsschritte seit 1994, und die Bank of England hatte seit 1989 in keiner einzigen Sitzung ihres geldpolitischen Ausschusses einen Zinsschritt in dieser Größenordnung beschlossen. Die Europäische Zentralbank hatte die Zinsen noch nie in so großen Schritten angehoben. Alle drei Zentralbanken haben ihre geldpolitischen Zügel im Jahr 2023 weiter gestrafft, obwohl die Märkte davon ausgehen, dass die Leitzinsen in den kommenden Monaten ihren Höchststand erreichen werden (Abbildung 4). Wichtig ist jedoch, dass die Geldmärkte keinen Rückgang der Zinsen auf das niedrige Niveau von vor der Pandemie einpreisen.

Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

Es wird deutlich, dass sich der Trade-off zwischen Wachstum und Inflation verschlechtert hat, was die Entscheidung für die Währungshüter weitaus schwieriger macht als in der Vergangenheit. Dies ist einer der neuen makroökonomischen Trends, die wir im Rahmen des Strukturwandels der Finanzmärkte beobachten.

Mit der Globalisierungsdividende ist es bald vorbei

Auch über den aktuellen Konjunkturzyklus hinaus ist ein struktureller Inflationsdruck entstanden, der die Situation für die Zentralbanken verändern dürfte. In den letzten 20 Jahren hatten die Zentralbanken Schwierigkeiten damit, die Inflationsraten auf ihre jeweiligen Zielwerte zu heben. Nach der globalen Finanzkrise dominierten in der so genannten „Lowflation“ eher die Ängste vor einer Deflation. In Zukunft werden die Zentralbanken wohl mehr mit Inflation zu kämpfen haben, die über das Ziel hinausschießt.

Schon vor der Pandemie wurden die Produktivitätsgewinne der Globalisierung in Frage gestellt. Seit den 1970er Jahren haben die Industrieländer dank tiefgreifender Veränderungen in den Lieferketten von sinkenden Produktionskosten und niedrigerer Inflation profitiert. Verbesserungen im Handel und in der Technologie, aber auch eine bessere Zugänglichkeit und Infrastruktur in den Schwellenländern haben dazu geführt, dass Hersteller ihre komplexe Produktion zunehmend in Teile der Welt verlagern konnten, in denen die Arbeitskräfte billiger waren. Während der globale Handel zwischen Ländern mit Wettbewerbsvorteilen nichts Neues war, stellte die Verlagerung der Produktion (ins Ausland) eine grundlegende Veränderung dar.

Eines der ersten Beispiele für die Verlagerung der Produktion in kostengünstigere Länder war General Electric, das seine Produktion in den 1960er Jahren in mexikanische Fabriken verlagerte. Es gibt unzählige Beispiele dafür, etwa die Abwanderung der Textilproduktion mit geringer Wertschöpfung von Großbritannien und Südeuropa nach Indien und Südostasien. Diese Veränderungen haben dazu beigetragen, dass viele Schwellenländer ihren Anteil an den Weltexporten steigern konnten (Abbildung 5). Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 ermöglichte es dem Land, zu den anderen Schwellenländern aufzuschließen und einen wachsenden Anteil am Weltexport zu erobern. Damit hat sich das globalisierte Modell erweiterter Lieferketten bzw. globaler Wertschöpfungsketten etabliert.

Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

In den Industrieländern gingen im Zuge der Globalisierung zwar viele Arbeitsplätze verloren, der Vorteil billigerer Produkte trug jedoch zu einem Anstieg des verfügbaren Einkommens bei. Abbildung 6, die die Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) für die USA und Großbritannien zeigt, verdeutlicht das Ausmaß des Preisrückgangs. In beiden Ländern kam es in den 80er Jahren (einer Phase hoher Inflation) zu einem deutlichen Rückgang und schließlich Anfang der 90er Jahre zu einer Disinflation der Preise für Industriegüter ohne Energie. Die beiden folgenden Jahrzehnte waren durch das Ausbleiben der Inflation gekennzeichnet. Dazu haben natürlich die sinkenden Preise für Importgüter beigetragen, aber auch die Lohneffekte der Globalisierung, die das weltweite Angebot an Arbeitskräften deutlich erhöht hat. Die Regierungen reagierten mit Arbeitsmarktreformen, die mehr Flexibilität ermöglichten.

Aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie Erwachsenenbildung und die Koppelung von Sozialleistungen an Arbeit, haben ebenfalls dazu beigetragen, Arbeitslose zur Rückkehr in die Arbeitswelt zu bewegen. Die Gewerkschaften, die während der hohen Inflation eine wichtige Rolle spielten, verloren nach und nach an Macht, was zu einem dramatischen Rückgang des Anteils der tarifvertraglich abgesicherten Lohnabschlüsse führte.

Für die Zentralbanken hatte sich der Trade-off zwischen Inflation und Wachstum unbemerkt entwickelt. Zunächst feierten die Währungshüter ihren Sieg über die hohe Inflation, von der sich die Volkswirtschaften im vergangenen Jahrzehnt nicht hatten befreien können. Sie begannen jedoch bald, sich Sorgen zu machen, da die Inflation dauerhaft unter den Zielvorgaben blieb. Sie reagierten mit immer weiteren Zinssenkungen, was die Anleiherenditen langfristig sinken ließ.

Erst im Nachhinein, etwa zehn Jahre später, erkannten die Zentralbanker, dass ein Strukturwandel stattgefunden hatte. Die Globalisierung wirkte sich nicht nur auf die Gewinne der Unternehmen und die Standorte der Arbeitsplätze aus. Sie schuf auch eine beispiellose Dynamik.

Der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, beschrieb 2004 die zehn vorangegangenen Jahre als ein „… non-inflationary consistently expansionary“ („nice“), also ein nicht-inflationäres, durchweg expansives Jahrzehnt; eine Phase, in der das Wachstum über dem Trend lag, die Arbeitslosigkeit stetig fiel und die Inflation stabil blieb. „Das Auf und Ab der Wirtschaft war in diesem Jahrzehnt viel geringer als in jeder vorhergehenden Phase.“ (Rede auf einer Veranstaltung des Eden Project am 12. Oktober 2004).

Die Internetrevolution trug zum „Nice“-Jahrzehnt bei, das unseres Erachtens auch noch lange nach der Rede von King andauerte. Die Einführung des E-Commerce sowie Effizienz- und Produktionssteigerungen ermöglichten eine bessere Verwaltung der wirtschaftlichen Ressourcen. Da diese Veränderungen disinflationäre Effekte hatten, sorgten sie dafür, dass der Inflationsdruck unter Kontrolle blieb, während die Wirtschaftstätigkeit und die Volkswirtschaften wuchsen. Die Kombination aus internationalem und inländischem Disinflationsdruck bedeutete, dass es in den meisten Volkswirtschaften Spielraum für mehr Inflation und Wachstum gab. Das ermöglichte den Währungshütern, die Zinsen im Laufe der Zeit immer weiter zu senken.

Am Ende seiner Rede und als Antwort auf die Frage, ob das Nice-Jahrzehnt anhalten werde, sagte King, dass „…die Kombination aus niedriger und stabiler Inflation und einer kontinuierlich sinkenden Arbeitslosigkeit irgendwann ein Ende finden muss…“. King befürchtete, dass der Trade-off zwischen Wachstum und Inflation schwieriger werde, wenn es wenig freie Kapazitäten gebe und sagte, dass das Nice-Jahrzehnt von einem „not-so-bad”-Jahrzehnt abgelöst werden könnte [not othe same order but also desirable]. Ja, für solche Wortspielerein hatten die Zentralbanker damals noch Zeit.

Disruption und höhere Kosten durch die neue Weltordnung

Die Vorteile durch die Globalisierung haben allem Anschein nach zu Beginn des neuen Jahrtausends ihren Höhepunkt erreicht (Abbildung 6 oben). In den letzten Jahren sind neue Kräfte auf den Plan getreten, die den Fortschritt des Welthandels behindern und in einigen Fällen sogar rückgängig machen. Die neue Weltordnung, die dadurch entsteht, dass sich die USA und China voneinander abkoppeln, stellt die Globalisierung infrage (wie in Teil 3 unserer Serie zum Strukturwandel näher erläutert). Mehrere multinationale Unternehmen haben sich entschieden, die Produktion ins Heimatland oder zumindest in nahegelegene Länder zurückzuholen und Investitionen in andere „freundliche“, risikoärmere Länder zu verlagern („Friend-shoring“).

Die geopolitischen Spannungen zwischen China und dem Westen, insbesondere den USA und unter der Präsidentschaft Trumps, nehmen seit einiger Zeit zu. Die Vorwürfe des übertriebenen Patriotismus und des Diebstahls geistigen Eigentums führten 2018 und 2019 schließlich zu Zöllen und anderen Handelsbarrieren. China und die USA schlossen 2020 ein Übereinkommen, demzufolge die Zölle gesenkt werden würden, wenn China einen gewissen Anteil an Gütern aus den USA importiert. Die Handelsbeziehungen waren jedoch beschädigt, sodass die Aussichten für die neue Zeit unter Joe Biden kaum besser waren.

Die chinafeindliche Stimmung ist eines der wenigen Themen, bei denen sich die US-Wähler einig sind. Deshalb hat Präsident Biden nicht nur die meisten Zölle seines Vorgängers beibehalten, sondern auch bestimmte Exportbeschränkungen verhängt, Investitionen in chinesische Unternehmen verboten und sogar viele Unternehmen mit Sanktionen belegt. Die USA haben China praktisch vom Zugang zu (und vom Verbrauch von) amerikanischer Technologie abgeschnitten, sodass das Land gezwungen ist, seine eigene technologische Infrastruktur aufzubauen, die sich von der der übrigen Welt unterscheidet. Die Bedeutung Chinas, insbesondere für Asien, könnte zu weiteren Trennlinien und Handelskonflikten mit dem Westen führen.

Diese politisch bedingten Restriktionen haben viele Unternehmen gezwungen, ihre Pläne für Geschäfte in China und mit chinesischen Unternehmen zu überdenken oder sogar zu ändern. Verlierer sind natürlich chinesische Unternehmen, aber auch US-Investoren, denen profitable Anlagemöglichkeiten entgehen. Letztendlich werden auch die US-Verbraucher zu den Verlierern gehören, die nun höhere Preise für Waren und Dienstleistungen zahlen müssen. Gewinner sind die konkurrierenden Unternehmen und Länder, in die der Handel umgeleitet wird.

Die Covid-19-Pandemie hat auch die Anfälligkeit der Lieferketten und die Gefahr einer übermäßigen Konzentration der Produktion in einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region deutlich gemacht. Unternehmen berücksichtigen höhere Gewalt jetzt eher in ihrer Risikoplanung und bemühen sich um eine Diversifizierung ihrer Lieferketten. Auf risikobereinigter Basis ist das wirtschaftlich sinnvoll. Die Verlagerung von Produktionsstandorten, der Bau neuer Anlagen und möglicherweise sogar neuer Infrastruktur tragen jedoch zu Kosten und Inflation bei.

Europa und der Krieg in der Ukraine sind ein Paradebeispiel dafür, wie politische Risiken Wirtschaft und Handel prägen. Ein erheblicher Teil des europäischen Energiebedarfs wurde durch Öl und Gas aus Russland gedeckt (Abbildung 7). Viele EU-Mitgliedsstaaten begannen kurz nach der Invasion der Ukraine Anfang 2022 damit, freiwillig auf russische Energieimporte zu verzichten. Im Spätsommer folgte ein expliziterer Stopp der Exporte aus Russland. Während russische Energie zweifellos weiterhin ihren Weg über Drittländer nach Europa findet, plant die Region für die Zukunft und unterzeichnet langfristige Handelsabkommen mit alternativen Partnern.

Strukturwandel: Zentralbanken priorisieren die Inflation gegenüber dem Wachstum

Russland hat für den Großteil seiner Energie andere Abnehmer gefunden und umgeht so die verhängten Sanktionen. Indien und China scheinen die größten Nutznießer zu sein, auch wenn dies zu den oben erwähnten Spannungen zwischen dem Westen und China beiträgt.

Deutlich teurer, aber politisch akzeptabel, sind schließlich die neuen Energieträger, insbesondere importiertes Flüssigerdgas (LNG). Dadurch werden die Energiekosten für Unternehmen und Privatpersonen noch auf Jahre hinaus auf sehr hohem Niveau verharren.

Dekarbonisierung und „Greenflation“

Als Reaktion auf die Energiekrise treibt die europäische Politik den Umstieg auf erneuerbare Energien voran. Bereits vor dem Krieg hatten Regierungen auf der ganzen Welt die Notwendigkeit von Netto-Null-Zielen erkannt und erhebliche Fortschritte bei der Vereinbarung verschiedener Klimainitiativen gemacht. Dazu gehören sowohl Initiativen zur Förderung des Wachstums von Anbietern sauberer Energien als auch Maßnahmen zur Erhöhung der Kosten kohlenstoffbasierter Energie, um Anreize für einen Umstieg zu schaffen. Diese Trends werden sich voraussichtlich weiter beschleunigen. Inzwischen wird auch von Unternehmensseite viel getan und viel Geld investiert, um Verhaltensweisen zu ändern und die Lieferketten umweltfreundlicher zu gestalten.

Die Dekarbonisierung ist ein weiterer struktureller Wandel, der sich in den kommenden Jahren beschleunigen dürfte. Obwohl die Kosten für die Erzeugung erneuerbarer Energie erheblich sinken, werden die Kosten für den Ersatz kohlenstoffbasierter Energie die Energieinflation noch auf Jahre hinaus in die Höhe treiben. Auch die Kosten für die Herstellung von Gütern, den Transport, den Energieverbrauch der privaten Haushalte und vieles mehr werden voraussichtlich steigen und damit den Inflationsdruck weiter erhöhen. Damit verbunden sind nicht nur Investitionskosten, sondern auch regulatorische Förderkosten. Auf die zu erwartenden Auswirkungen werden wir in Teil 5 unserer Serie über den Strukturwandel noch näher eingehen.

Zusammenfassung und Fazit

  • Die Zentralbanken haben wahrscheinlich schon genug getan, um die Inflation kurzfristig zu senken. Der Trade-off zwischen Wachstum und Inflation hat sich jedoch strukturell verändert.
  • Die Weltwirtschaft dürfte weiterhin mit zyklischer Inflation und anhaltendem Arbeitskräftemangel zu kämpfen haben, was die Arbeitskosten in die Höhe treibt. Darüber hinaus muss sie mit einer steigenden strukturellen Inflation fertig werden, die mit der politischen Fragmentierung und der Reaktion auf die neue Weltordnung zusammenhängt. Die Deglobalisierung bedeutet das Ende der Globalisierungsdividende, sodass es weniger Spielraum für inländischen Inflationsdruck gibt als in der Vergangenheit.
  • So lobenswert die Dekarbonisierung und der Übergang zu einer nachhaltigeren Wirtschaft auch sind, sie werden wahrscheinlich auch erheblich zur Inflation beitragen.
  • Eine strukturell höhere Inflation bedeutet, dass die Geldpolitik straffer und restriktiver sein muss als vor der Pandemie, wenn die Zentralbanken Preisstabilität wahren wollen. Der Strukturwandel wird längerfristig zu höheren Zinsen und einer Reduktion der globalen Liquidität führen.
  • Höhere Zinsen werden erhebliche Auswirkungen auf Investoren und Finanzmärkte haben – von Bewertungseffekten bis hin zu zusätzlicher Volatilität. Die Anleger müssen sich an eine Welt anpassen, in der sie sich nicht auf den „Fed-Put“ verlassen können, um Risikoanlagen zu retten. Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei.

Weitere Informationen zu den Markt- und wirtschaftlichen Auswirkungen des Strukturwandels finden Sie unter: www.schroders.com/regimeshift.

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